Geschichten, die das Leben schreibt
Die lustigsten Geschichten sind oft die, die das Leben selbst schreibt. Zum Beispiel diese hier, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Hermann Haberberger. Handlungsort: Sein Restaurant im Fischerdorf am Bodensee. Täter: Scharfes Essen! *
Es ist Mittwoch, der 30. Mai anno 2001. Das Wetter hat sich wieder einmal dafür entschieden, den Gartenlokalen eine reelle Chance zu geben, und die will man natürlich auch im Restaurant im Fischerdorf nutzen. Also Tischdecken raus, Blümchen auf die Tische, Sitzkissen auslegen. Es ist noch ruhig am See gegen 11.30 Uhr.
Chefin Hanne inspiziert noch einmal die Terrasse. Vogelgezwitscher und das Summen der Bienen, gepaart mit einem gelegentlichen satten „Platsch“ wenn der hochwassertragende See eine seiner Wellen an die Ufermauer wirft – das ist die friedliche Geräuschkulisse, die Frau Hanne an jenem frühen Mittag des vorletzten Maitages umspielt.
„Ach, es ist doch herrlich hier! Leben dürfen, wo andere nur Urlaub machen können“, denkt sie gerade, als sich ihr Gatte, seineszeichens Küchenchef des Hauses, hinzugesellt, um die Fertigstellung der Küchenvorbereitungen zu vermelden, aber auch, um noch einmal vor dem Mittagsgeschäft einen Moment der Ruhe und Beschaulichkeit zu genießen. Sie können ja nicht ahnen, daß sich ihr idyllisches Refugium in weniger als einer Stunde in ein im wahrsten Sinne des Wortes „feuriges Szenario“ verwandeln würde.
Selbiges deutet sich erst durch ein undefinierbares, aber immer stärker werdendes „Wummern“ an, dessen Ursache im Herannahen einer großen, schwarzen, amerikanischen Limousine mit offensichtlich vor Stärke strotzendem Motor auszumachen ist. Die Luxuskarosse donnert in den Hof.
„Die ersten Gäste“ denkt Frau Hanne, während der Küchenchef – eingedenk der italienischen Nummer des Fahrzeugs – über die Seltenheit des Vorkommens italienischer Straßenkreuzer amerikanischer Herkunft auf Kressbronner Gebiet sinniert. Noch dazu mit verdunkelten Scheiben.
„Wie in Hollywood“ denkt der Küchenchef gerade, als nach nochmals kräftigem Aufheulen der 12-Zylinder-Maschine auf dem Parkplatz dem Nobelgefährt eine illustre Gesellschaft entsteigt.
„Wie in Hollywood“ denkt jetzt auch die RiF-Chefin, denn es betreten allen voran drei Herren die Terrasse, wahre Schönlinge mit schwarzen Sonnenbrillen und in edlem Zwirn, unter dessen weichen Falten kräftige Muskeln zu erahnen sind. Im Schlepptau folgen eine rassige Schönheit in einem Hauch von Nichts, und zwei Bambini, ein Mädel und ein vielleicht sechsjähriges Jüngelchen, wobei letzteres ebenfalls eine schwarze Sonnenbrille trägt.
Das Sextett steuert schnurstracks auf die Hausherren des Fischerdorfs zu. Der mittlere der drei Beaus – das Familienoberhaupt wahrscheinlich – ergreift galant die Rechte von Frau Hanne, deutet noch galanter einen Handkuß an und säuselt: „Bella Signorina, iche wollen hier nehmen feine Mittagessen mit la familia. Isse möglisch?“
„Sechs Personen? Bitte nehmen Sie doch hier Platz“ sagt Frau Hanne und deutet auf einen größeren Tisch.
„Habbe gehört, Sie habbe auch gut italienisch Pasta, isse richtisch?“
„Selbstverständlich!“
„Danne sie mache uns glücklisch!“
Das Italo-Sextett nimmt Platz. Die Chefin bringt die Speisenkarte. Am Tisch spricht und entscheidet nur einer – der Oberboss.
Frau Hanne nimmt die Bestellung auf.
„Bella Signorina, Sie habbe molto groß Karte, nix alles wir brauche, nur gut Pasta, isse klar?“
Die nun folgende Bestellung läßt die Chefin befürchten, daß schon zu Beginn des Mittagsgeschäfts die Spaghetti- und Rigatonivorräte auf Null reduziert werden würden.
„Bella Signorina“, sagt des Mini-paten Papa, „habbe groß Bitte anne Scheffe von Kuche. Musse mache Spaghetti Aglio e olio molto picante, verstehe?“
„Sie wollen die Spaghetti sehr scharf haben, kein Problem“, sagt Bella Signorina und gibt diesen Wunsch an Scheffe von Kuche weiter.
Diesem ist der Wunsch Befehl, den er auch prompt ausführt. Nun ist die Aglio e olio-Sauce im Restaurant im Fischerdorf von Hause aus schon um Strecken schärfer, als eine normale mitteleuropäische Zunge üblicherweise zu ertragen bereit ist, Scheffe von Kuche gibt aber noch eine Ladung „Scharfmacher“ hinein. Frau Hanne serviert und Herr Hermann erlaubt sich einen dezenten Blick aus seiner „Kuche“, wie denn nun seine Version von „molto picante“ ankommt.
Man probiert, man diskutiert, man ruft nach Bella Signorina, selbige kommt.
In blumigen Worten erklärt Herr Pate Frau Chefin Folgendes: Man sei Italiener, italienischer Mann genauer gesagt. Italienischer Mann sei Schärferes gewohnt. Die Sauce sei gerade mal was für Guiseppe (den Mini-Paten). Er bräuchte eine härtere Dosis zum Wohlbefinden. Ob „Scheffe von Kuche“ nicht vielleicht getrocknete Chilischoten hätte?
Scheffe von Kuche hat. Begeistert ob solcher Leidensfähigkeit im Mund- und Rachenraum trägt Bella Signorina ein Tellerchen mit teuflisch scharfen getrockneten Piri Piri-Schoten an den Tisch.
„Oooh, Sie miche mache glück-lisch“, was wiederum die Wirtsleute glücklich macht.
Mit ungläubigem Staunen beobachtet Scheffe von Kuche von seinem versteckten Eckchen aus, wie Scheffe von Familia Schötchen für Schötchen mit den Fingern über seinem Teller zerreibt, zur Gabel greift und die Power-Pasta tatsächlich ohne mit einer Wimper zu zucken binnen kürzester Zeit verschlingt.
„Unglaublich“, denkt sich Herr Hermann, wendet sich aber wieder der Produktion anderer Leute Mittagessen zu, worüber er den sonnenbebrillten italienischen Oberscharfesser beinahe vergißt, bis, ja bis zu dem Moment, in dem Bella Signorina um schleunigstes Erscheinen an der Theke bittet.
Dort steht ein wild gestikulierender Mann in Lederhose und Trachtenhemd, der Herrn Hermann ultimativ auffordert, auf der Herrentoilette nach dem Rechten zu sehen.
„So eine Schweine-Igelei habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt, der Kerl, der Italiener, der, der, der macht, der macht…“
Dem Herrn versagt die Stimme. Höchst alarmiert wendet sich Scheffe von Kuche gen Herrentoilette.
Bereits vor der Türe lassen sich undefinierbare, zugebenermaßen wenig lustvolle Stöhngeräusche vernehmen, kombiniert mit italienischen Wortfetzen, die der des Italienischen nur bedingt mächtige Küchenchef allerdings eindeutig der Kategorie „Schimpfwörter“ zuordnen kann.
Herr Hermann öffnet die Türe, besser gesagt, er will die Türe öffnen, was ihm aber nur teilweise gelingt. Vorsichtig lugt er durch den Spalt und ist – gelinde gesagt – vollständig verblüfft ob der Szene, die sich ihm bietet.
Herr Oberpate streckt sich nämlich mit heruntergelassener Hose über das Waschbecken und läßt Wasser über seinen, seinen, tja – wollen wir ihn „Genitalino“ nennen – laufen.
„Hallo, hallo“ ist erst einmal alles, was Scheffe von Kuche herausbringt. Herr Oberpate zeigt sich einsichtig und räumt seinen Standort, was das gänzliche Öffnen der Türe ermöglicht.
„Äh, sorry, haben Sie ein kleines Problem?“
„Kleine Problema? Kleine Problema? Porco Dio, habbe iche grande problema! Wolle iche mache Pipi. Iche mache Pipi! Habbe iche Chili anne die Finger, capito? Chili anne Männelichkeit nixe gut!“
Hierfür hat Scheffe von Kuche höchstes Verständnis und dezent verläßt er die Herrentoilette, um Herrn Oberpaten bei der Linderung eines teuflischen Brennens an ausgesprochen ungeschickter Stelle nicht weiter zu stören.
Bleibt noch zu erwähnen, daß der ob der „Schweine-Igelei“ erzürnte Gast ebenfalls Verständnis zeigt, wie auch der Rest aller Anwesenden, die durch eben jenen Gast in allen Details informiert worden waren.
Bleibt weiterhin noch zu erwähnen, daß Herr Oberpate nach einigen Minuten sichtlich derangiert wiederkehrt, das hämische Grinsen an allen Tischen aber mit stoischer Ruhe erträgt.
Text: Hermann Haberberger
* Anmerkung: Das bei Chiliheads beliebte Restaurant gibts leider seit ein paar Jahren nicht mehr – Cheffe hatte andere Pläne…
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