Der Paprika aus der Basilikata
Über die europäische Chili-Hochburg Kalabrien haben wir ja bereits ausführlich berichtet. Aber auch beim nördlichen Nachbarn dieser Region, der Basilikata, gibt es eine Paprika-Spezialität, Peperoni di Senise. Ähnlich wie Champagner oder Roquefort-Käse genießt diese Paprikasorte Gebietsschutz der EU. Wir haben uns zur Erntezeit vor Ort umgeschaut.
Die Basilikata ist eine geschichtsträchtige Region mit wunderschönen Landschaften, kulinarischen Spezialitäten und einer köstlichen Küche. Eingebettet zwischen Apulien, Kampanien und Kalabrien verfügt sie sogar über einen schmalen Zugang zum Tyrrhenischen und Ionischen Meer. Die überwiegend hügelige und bergige Region gestaltet sich äußerst abwechslungsreich, von der kargen Tyrrhenischen Küste zu den sanften Ufern des Ionischen Meeres, von den mit Wäldern bedeckten Bergen des Apennin zu den bizarren Landschaften der tief gefurchten Hügel. Viele verschiedene Völker wie Griechen, Römer, Byzantiner und Normannen, haben hier ihre Zeichen hinterlassen, und so findet man vielerorts eindrucksvolle bauliche Zeugnisse der Jahrtausende alten Geschichte.
Einige Gegenden der Basilikata erinnern an den Südwesten der USA …
Die Basilikata ist übrigens die einzige Region in Italien mit zwei Namen – Basilikata und Lukanien, wobei erstere seit 1945 die offizielle Bezeichnung ist, letztere auf die Antike zurückgeht. Die Einwohner ziehen es auch heute noch vor, eher als Lukaner statt als „Basilikater“ oder „Basilikateser“ bezeichnet zu werden. Beschreibend wird zudem auch heute noch der Ausdruck „lukanisch“ verwendet, besonders für die regionale Küche. Die lukanische Spezialitäten bieten viele kulinarische Highlights, von denen wir einige besonders hervorheben möchten:
- Aglianico del Vulture – ein vollmundiger und kräftiger Rotwein, der in Italiens kleinstem Weinanbaugebiet am Vulkanberg Monte Vulture angebaut wird. Eingeführt wurde diese Weinrebe schon um das 7. und 6. Jharhundert vor Christi Geburt von den Griechen.
- Fagiolo di Sarconi – spezielle Bohnensorten, die sowohl frisch als auch getrocknet verwendet werden. Da sie schnell garen, werden sie nicht pappig und sind sehr schmackhaft. Sie wachsen im Alta Val D’Agri, einem Gebiet, in dem sie aufgrund der Klima- und Bodenverhältnisse besonders gut gedeihen. Siehe dazu auch unseren 2005er Peperoncino-Festival-Bericht.
- Peperoni di Senise – Die kleinwüchsige Paprika wurde einst aus der Neuen Welt nach Italien importiert und hat sich dort sehr schnell verbreitet. Die „Paprika von Senise“ wird in verschiedenen Gemeinden der Provinzen Matera und Potenza angebaut, aber ihren Namen verdankt sie dem gleichnamigen Städtchen am Hang eines Hügels im Tal des Sinni-Flusses. Sie ist heute ein in ganz Europa anerkanntes und geschätztes Produkt.
Auf unserem Weg zum Peperoncino Festival in Diamante (Kalabrien) haben wir daher einen kleinen Umweg gemacht und haben zur Peperone-Erntezeit die Region um Senise besucht.
… in anderen Gegenden kommt Toskana-Feeling auf.
Die Fahrt durch die Basilikata ist wunderschön. Einige Gegenden dort erinnern stark an den Südwesten der USA; dann wiederum wird’s streckenweise so richtig mediterran; unzählige alte Olivenbäume lassen Toskana-Feeling aufkommen.
Die Region wird von verschiedenen Flüssen durchzogen; besonders hervorzuheben sind
Agri und Sinni, in deren Tälern besonders gute Wachstumsbedingungen herrschen.
Von der Regionalhauptstadt Potenza aus sind wir südöstlich gefahren, entlang des Agri, dann hinüber zum Sinni. Aus der Ferne sah man dann schon den historischen Teil von Senise, malerisch auf einem Hügel gelegen.
Hoch gelegen: Die Altstadt von Senise
Der Ortseingang ist eher unspektakulär. Das längst verblichene Hupverbot-Schild erübrigt sich eigentlich, denn es ist ohnehin eher ruhig in Senise. Viele Autos sieht man hier nicht fahren; dies ist definitiv kein Tourismus-orientierter Ort.
Auf die berühmten Peperoni di Senise mussten wir allerdings nicht lange warten. Schon bald entdeckten wir einen Gemüsehändler, der – von der Straße unübersehbar – frische und getrocknete Ristras (fila im Italienischen) zum Verkauf herausgehängt hatte. Eine getrocknete Ristra haben wir natürlich gleich mitgenommen, und für den Rest unserer Tour war unser Auto von herrlichen Pepper-Aromen gefüllt. Im Laden entdeckten wir dann auch noch frische Schoten. Während die rotgereiften getrocknet werden, gibts den Rotgrün-Mix meist als geschmortes Gemüse.
Früher wurden die Paprika aus Senise dazu verwendet, die Gerichte der armen Küche geschmacklich zu bereichern. Heute sind sie eine lukanische Spezialität, die wegen ihrer Qualität und des IGP-Gütesiegels – dazu später mehr – weit über die Grenzen der Region hinaus geschätzt wird.
OK, Schoten und eine Ristra haben wir schon mal. Aber wo wachsen die Senise-Peppers?
Wo der „Pfeffer“ wächst
Weit musste man nicht fahren, um auch auf die ersten Felder zu stoßen – am Fuße der historischen Altstadt liegt der neuere Teil von Senise, und direkt davor verraten in der Sonne leuchtende rote Zipfel, was hier wächst.
Wie wir erfahren, gehört das kleine Feld einem Schäfer, und wir fragten uns schon besorgt, ob das alles wäre an Paprika-Plantagen.
Doch an der Landstraße in den nächsten Ort entdecken wir dann riesige Pepper-Felder. Ein guter Teil der Schoten war bereits abgeerntet; trotzdem sehen wir rot, soweit das Auge reicht.
Die Ernte ist noch in vollem Gange, und wie man sieht, geschieht dies mühsam per Hand.
Schaut man sich den kompakten lehmigen Boden, auf dem die Paprikapflanzen unter der glühenden Sonne wachsen, genauer an, fällt die enorme Ähnlichkeit zur Bodenbeschaffenheit der Chili-Felder im Süden New Mexicos auf. Links eine Aufnahme aus einem Feld bei Senise, rechts eine, die wir im Hatch Valley in der Nähe von Las Cruces gemacht haben. Dies läßt ahnen, warum die Peperoni di Senise – ähnlich wie Barker, Big Jim, Sandia und andere New-Mexican-Sorten – in ihren originalen Anbauregionen ihr charakteristisches, ausgeprägtes Aroma bekommen. Besonders Gewächshausware hat da keine Chance, aber schon andere Gegenden (und damit anderes Klima, andere Böden) führen meist nie zu denselben Ergebnissen.
Der Bildvergleich verdeutlicht auch Unterschiede in der Bewässerungstechnik. Links direkt neben den Senise-Pflanzen sieht man einen Schlauch. Dieser hat kleine Löcher und dient der sogenannten Drip Irrigation (Tröpfchenbewässerung). Aus den Löchern in den Schläuchen tröpfelt das Wasser dicht bei der Pflanzenwurzel auf die Erde, eine sehr wassersparende Bewässerungsmethode. Im Süden New Mexicos bedient man sich des Rio Grande, dessen Wasser in bestimmen Zeitabständen über Kanäle in flache Gräben geleitet wird; einen solchen erkennt man in der Mitte auf dem New-Mexico-Bild.
Gebietsschutz für eine Paprika
Damit eben diese spezifische Qualität der Peperone gewährleistet wird, hat sich die Region um Senise erfolgreich um entsprechenden Schutz bemüht. Schon seit langem genießen bestimmte Lebensmittel internationalen Markenschutz aufgrund ihres Herkunftsgebietes. So müssen zum Beispiel Nürnberger Bratwürste aus Nürnberg kommen, Roquefort-Käse aus Roquefort, und echter Champagner aus der Champagne. Allein in der EU gibt es mehr als 500 Produkte, denen die jeweiligen regionalen Besonderheiten – Tradition, bestimmte Rohstoffe und Herstellungstechniken – einen solchen Status verleihen, und laufend werden es mehr.
1996 erhielten auch die Peperoni di Senise – den Status „IGP“ (Indication Géographique Protégée, Indicazione Geografica Protetta; geschützte geographische Angabe, bei uns g.g.A.).
Die Regeln dafür sind – wie vieles in der EU – streng und bürokratisch; sie sind in der „Disciplinare di produzione dei peperoni a Indicazione Geografica Protetta ‚Peperoni di Senise‘ “ definiert.
Unter anderem wird festgelegt, aus welchen Anbaugebieten die schmackhaften Schoten stammen müssen, um sich „Peperoni di Senise“ nennen zu dürfen.
Im Valle del Sinni sind dies Francavilla S.S., Chiaromonte, Valsinni, Colobraro, Tursi, Noepoli, San Giorgio Lucano, und im Agri-Tal Sant’Arcangelo, Roccanova, Tursi, Montalbano Jonico und Craco. Außerdem wird genauestens vorgeschrieben, wann die Aussaat zu erfolgen hat, nämlich vom letzten Drittel des Februar bis zum zweiten Drittel des März. Das Auspflanzen geschieht Mitte Mai bis Anfang Juni.
Die Ernte beginnt im August, wenn die Schoten ihre typische rote Fabe bekommen und darf nur per Hand erfolgen. Für den kommerziellen Vetrieb sind Holzkisten mit 12-15 kg vorgeschrieben. Ristras mit getrockneten Schoten müssen zwischen 1,5 bis 2 m lang sein, die Schoten mit einem Wassergehalt von 10 bis 12 % schön rot und spiralförmig im Winkel von 120 grad aufgefädelt. Pulver ist in Behältern von 50, 100 oder 1000 g zu liefern.
Bei unseren Einkäufen haben wir unterschiedliche Schotentypen gefunden – siehe Bild. Ob dies nun die Variation innerhalb einunderselben Sorte ist, ließ sich nicht klären.
Die Richtlinien für Peperoni di Senise definieren jedenfalls drei verschiedene Typen:
„Appuntito“
- Schotenform: Leicht geschwungen mit wenig sichtbaren Rippen
- Spitze: Zungenförmig
- Schotenlänge: 10 bis 17 cm.
- Durchmesser: 3,5 bis 5 cm.
- Stärke des Fruchtfleisches: von 1,5 bis 2,2 mm
„Uncino“
- Schotenform: Leicht geschwungen mit wenig sichtbaren Rippen
- Spitze: krumm bis hakenförmig
- Schotenlänge: 11 bis 16 cm.
- Durchmesser: 3,5 bis 5,2 cm.
- Stärke des Fruchtfleisches: von 1,5 bis 2,2 mm
„Tronco“
- Schotenform: Kegelförmig, leicht geschwungen mit deutlich sichtbaren Rippen;
im Allgemeinen drei, von denen eine kräftiger entwickelt ist und sich bis zum
Spitzenbereich zieht. - Spitze: geformt wie eine Hundenase
- Schotenlänge: 9 bis 14 cm.
- Durchmesser: 3,0 bis 5,1 cm.
- Stärke des Fruchtfleisches: von 1,5 bis 2,0 mm
Für alle drei Typen gilt laut Richtlinie, dass der Stiel so geartet zu sein hat, dass er sich selbst nach dem Trocknen nicht von selbst löst; das Aroma ist mildsüß (dolce), und als handelbare Farben sind grün sowie „purpurrot“ zugelassen.
Das Trocknen der Paprikafrüchte
Wie man im Querschnitt sieht, sind die Senise-Paprikaschoten eher dünnfleischig. Das Klima in den Berglagen der Basilikata ist ideal, um diese Art Schoten an der Luft zu trocknen. Dazu werden sie an den Stielen zu Strängen aufgefädelt, die man in Italien Fila, in den USA und Mexiko Ristra nennt. In dieser Form hängen die Schoten an zahlreichen Privathäusern zum Trocknen; ein Indiz, dass sie hier in der häuslichen Küche reichlich Verwendung finden.
Bei der kommerziellen Produktion geschieht das Trocknen auf dieselbe Weise, allerdings gemäß Vorschrift vor direkter Sonenneinstrahlung geschützt.
Wir fanden wir spezielle Gebäude zu diesem Zweck, mit offnen Wänden im ersten Stock. Das gesamte Stockwerk ist mit Haken für die Ristras und gut durchlüfteten Trockenböden für lose Schoten ausgerüstet.
Die Ristras werden „am Stück“ verkauft, die einzelnen getrockneten Schoten zu einem aromatischen, farbkräftigen Pulver vermahlen, das wegen seiner optischen Ähnlichkeit mit Saffran regional auchZafarano genannt wird.
Spezielles Paprika-Trocknungshaus
In Pulverform werden Peperoni di Senise zur Zubereitung einheimischer Käse- und Wurstspezialitäten verwendet, jedoch auch zum Würzen von Suppen und Hauptgerichten.
Verkostung der edlen Schoten vor Ort
Nun war natürlich der Zeitpunkt gekommen, die Senise-Schoten auch einmal zu probieren, zumal wir hungrig waren. Es war spätnachmittags gegen 18:00 Uhr, und in Senise hatte keinerlei Restaurant offen. Selbst die örtliche Pizzeria sollte erst wieder um 20:30 öffnen – keine Seltenheit in Süditalien.
Also checkten wir ersteinmal in unserem Hotel ein, Hotel Villa del Lago. Dazu muß man sagen, dass es mangels Tourismus nicht viele Übernachtungsmöglichkeiten in dieser Gegend gibt. Um so froher waren wir, dass Villa del Lago ein sehr ansprechendes Haus ist, mit excellentem Service und – zu unserer großen Freude – mit einem sehr schönen Restaurant. Man findet das Hotel, wenn man vom Ort aus in Richtung des nahe gelegenen Sees fährt.
Unweit vom See liegt das Hotel Villa del Lago.
Im Hotel-Restaurant begann der Betrieb zum Glück schon gegen 20:00 Uhr, und ein paar Tische weiter saß bereits eine italienische Großfamilie. Als diese ihre Essen serviert bekam, erschnupperten wir schnell einen Duft, der uns sehr liegt: Porcini – Steinpilze. Der nette Ober war verblüfft, dass wir dies auf die Entfernung erkannt hatten und fragte uns, ob wir dasselbe essen möchten — hausgemachte Pasta mit Steinpilzen. Das war natürlich genau unser Ding! Außerdem würden wir aber gerne die berühmten Peperoni di Senise probieren, sagtem wir ihm. Die brachte er uns dann als Antipasti, und zwar auf jene Art zubereitet, in der man sie am besten probiert: Frische Schoten in Olivenöl geschmort, und getrocknete in Olivenöl knusprig frittiert.
Peperoni di Senise: Frische Schoten in Olivenöl geschmort (links)
und getrocknete Schoten in Olivenöl knusprig frittiert (rechts).
Die Peperone haben in der Tat ein sehr intensives, angenehmes Aroma, das durch die einfache Art der Zubereitung noch unterstrichen wird.
Hotel und Restaurant sind – wie oft in Italien – ein Familienbetrieb, in dem mehrere Generationen arbeiten. Der Seniorchef kam an unseren Tisch begrüßte uns nett, und er erzählte uns, dass er den – übrigens sehr leckeren – Hauswein selber macht. Als er dann hörte, dass wir unterwegs zum Peperoncino-Festival in Diamante waren, nahm er uns mit in seinen kleinen Garten. Dort pflückte er eine Handvoll winziger Chili-Schoten für uns – „probier mal!“ – Mamma mia, die waren gut scharf. Gelernte Lektion: Das Aushängeschild von Senise sind zwar milde Peperone, aber die Peperoncini dort können sich auch sehen lassen…
Das Porcini-Pasta-Gericht war dann ebenfalls hervorragend und für uns Steinpilz-Fans genau das richtige Abendessen. Die Familie kümmerte sich dann weiterhin nett um uns, und wir können dieses sympatische Hotel nebst Restaurant nur empfehlen. Zudem hat es ganzjährig geöffnet. Info sieheHotel-Website.
Frische Schoten auf dem Markt
Nun war es an der Zeit, weiterzufahren, um rechtzeitig fürs Peperoncino-Festival in Diamante einzutreffen. Unterwegs nahmen wir noch frische rote Schoten mit; in einem Nachbarort von Senise war zum Glück gerade Markt.
In Diamante packten wir dann unsere frischen Senise-Paprika aus, um sie abzulichten, solange sie noch knackig frisch waren. Von einigen Schoten haben wir natürlich Saat genommen, um sie nächstes Jahr im heimischen Garten zu ziehen. Dann sind’s natürlich keine echten Peperoni di Senise, und sicher werden sie aufgrund anderer Boden- und Klima-Verhältnisse anders schmecken. Aber eine schöne Erinnerung an einen interessanten Ort in der wunderschönen Basilikata werden sie allemal sein.
Peperoni di Senise – optisch und geschmacklich top