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Kalabrien – die Stiefelspitze Italiens, Peperoncini Hochburg. Warme Meeresströmungen sowie rund 300 Tage Sonnenschein im Jahr prägen das milde Klima, in dem neben vielem anderen auch diverse Chili-Sorten bestens gedeihen, die hier Peperonciniheißen (Mehrzahl von Peperoncino). Wie man in unserem Beitrag über Diamante sieht, sind die berühmten scharfen Schoten in dem Städtchen allgegenwärtig, wie auch in den meisten anderen kalabrischen Ortschaften. In Strängen (Filas) trocknen sie im Spätsommer auf Balkons, und sie sind pikanter Bestandteil vieler regionaler Gerichte, Läden verkaufen ein buntes Sortiment an Peperoncino- Spezialitäten. |
Fährt man entlang der Küste, erspäht man jedoch allenfalls vereinzelte Peperoncino-Pflanzen in häuslichen Vorgärten, unter duftenden Zitronenbäumen oder zwischen Kräutern und knorrigen Olivenbäumen. Auch auf Trips ins Landesinnere stechen dem Touristen höchstens Olivenhaine oder Weinberge ins Auge. Oder riesige Felder mit den berühmten Eiertomaten, die aromatisch rot gereift geerntet werden und jede Treibhausware steinalt aussehen lassen. Woher also kommen die Mengen an Chilis, mit denen kalabrische Köche und Hausfrauen ihre pikanten Gerichte zaubern, und die zu Delikatessen wie Hot Sauce, eingelegten Schoten in Olivenöl und Chili-Pulver (peperoncino macinato piccante) verarbeitet werden?
Wer suchet, der findet
Ohne die Hilfe unserer Freunde Delizie di Calabria hätten auch wir dieses Rätsel kaum lösen können. Der alteingesessene Familienbetrieb in Catanzaro stellt erlesene kalabrische Chili-Delikatessen her und verarbeitet dazu Peperoncini, die auf eigenen Feldern wachsen. Also verabreden wir uns mit Morena, der Tochter des Firmeninhabers, und ihrem Mann Raffaelo, der ebenfalls im Betrieb arbeitet. Wir treffen uns im Bergstädtchen San Marco Argentano, von Diamante nur eine Stunde Fahrzeit landeinwärts über kurvenreiche Straßen, über grün bewaldete Berge und durch unzählige Tunnel. Spätestens hier scheint die Zeit endgültig stehen geblieben zu sein – keine Spur von Tourismus.
Peperoncino-Feld, im Hintergrund Olivenbäume
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Wir treffen die beiden vor der 500 Jahre alten, von den Normannen erricheten Kathedrale. Sie haben auch Enzo mitgebracht, den Manager der Feldanlagen und Chili-Experten. Wir steigen um in ihren geländegängigen Bus, und los geht’s querfeldein in Regionen, die wahrscheinlich auf keiner Landkarte zu finden sind. Nach einer halben Stunde Fahrzeit durch malerische Weinberge mit prallreifen roten und weißen Trauben der erste Stop. Endlose Felder, und schon von weitem sieht man sie an den niedrigen Pflanzen leuchten: Endlich Peperoncini, und zwar soweit das Auge reicht. Am Horizont große alte Olivenbäume. Wieviele Chili-Pflanzen das wohl sind, will Renate wissen. Alles zusammen so um die 250.000, schätzt Enzo. Auf diesen und weiteren Feldern, die wir zu sehen bekommen, wird deutlich: Die Sorte „Peperoncino“, wie oft in hiesigen Gemüseabteilungen und auf Gläsern ausgeschildert, gibt es nicht; vielmehr ist dies ein Oberbegriff wie „Chili“ bei uns oder „Chile“ in Nord- und Südamerika. |
Morena und Harald mit
Mini-Kirsch-Peperoncini |
Und wie auf dem amerikanischen Kontinent gibt es auch hier in Kalabrien ein breites Spektrum an Sorten, die sich in Aussehen, Aroma und Schärfe unterscheiden. Allen gemeinsam ist, dass sie speziell in diesem Klima gedeihen, das sich durch Höhenlage, Seeluft und reichlich Sonne auszeichnet. Dies bekommt offenbar nicht nur dem Wein dieser Region sehr gut, denn neben mehr oder weniger Schärfe haben die Peperoncini, die wir probieren, alle ein intensives Aroma.
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Amando, eine aromatische Sorte. Feurig und optisch ähnlich Cayenne, aber fleischiger.Wein und Chilis bekommen Boden und Sonne der Region bestens. |
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In der glühenden Nachmittagshitze marschieren wir mit unsereren kalabrischen Freunden durch die Felder – Enzo pflückt von jeder Sorte Schoten und reicht sie uns zum Probieren. Naso di Cane („Hundenase“) heißt eine. Reingebissen – „dolce“, zuckersüß, aromatisch und mild.„Jetzt die hier“, eine ca. 6 cm lange dünne Schote entgegen, die ihrer Form wegen Sigaretta (Zigarette) heißt und auch Nichtrauchern reichlich Dampf macht. Hätten wir bloß was zu Trinken mitgenommen.Weitere Schoten, die wir unter freundlichem Wohlwollen unserer Tourführer probieren, bescheren ein Feuerwerk, das je nach Sorte zwischen 5 und 20 Minuten anhält. Der Schweiß fließt in Strömen – nicht nur wegen der süditalienischen Sonne… |
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Sigaretta – Zigarettenschlanke
Schoten für rauchende Rachen
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Uns fällt auf, dass das Unkraut mit den Peperoncini um die Wette wächst – viele Sorten werden hier biologisch angebaut, also ohne Herbizide. Es wird nach der Ernte einfach untergepflügt. Man bemüht sich, alles zu vermeiden, was die Qualität der scharfen Schoten beeinträchtigen könnte. |
Stolz präsentiert Rafaelo eine prächtige Peperoncino-Pflanze
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Besonders die scharfen Sorten bekommen nur soviel Wasser wie nötig, erklärt Enzo. Denn auch hier weiß man, dass Stress in Form knapper Bewässerung zu schärferen Schoten führt.Vor kurzem hat es geregnet, das passiert aber besonders im Sommer nicht so häufig
Um das Austrocknen unter der intensiven Sonne zu vermeiden, wird die Erde der Pflanzenreihen mit schwarzer Mulchfolie abgedeckt, wie hier links bei den Kirsch-Chilis (Ciliegia). Pflanzlöcher sind bereits vorgestanzt. Unter der Folie verläuft auch ein perforierter Schlauch zur Bewässerung.
Nachdem Renate und ich gerade unsere rauchenden Rachen mit Tomaten von einem benachbarten Feld besänftigt hatten, pflückt Enzo für uns eine Neuzüchtung. „Ist ebenfalls eineNaso di Cane„. Und als wir schon herzhaft von der saftigen, tomatengroßen Schote abgebissen haben, ergänzt er grinsend: „diese ist aber piccante„. Wow. In der Tat eine interessante Sorte, denn normalerweise sind derartig scharfe Schoten eher dünnfleischig und klein. Feurio!
Peperoncino-Sorten
Wie gesagt gibt’s nicht den Peperoncino; auch Italien – besonders Kalabrien – wartet mit einem ganzen Arsenal mehr oder weniger scharfer Schoten auf. Hier die Sorten, auf die wir auf unserer Peperoncino-Expedition gestoßen sind:
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1 – Italienische Cayenne-Variante, scharf.2 – Ciliegia (Kirsche), groß, mittelscharf. Wird gerne gefüllt und eingelegt.3 – Ciliegia , klein, scharf. In Öl eingelegt oder getrocknet.4 – Hybrid (Name nicht bekannt), scharf5 – Naso di Cane, mild/scharf6 – Amando, scharf bis sehr scharf.
7 – Sigaretta, sehr scharf (ähnlich Thai), in Gruppen aufrecht wachsend.
8 – Hybrid (Name nicht bekannt), scharf.
9 – Name nicht bekannt, scharf, wie Sigaretta in Gruppen aufrecht wachsend.
10 – Chiltepin-artige Sorte mit nur 8-9 mm Durchmesser, sehr scharf. In einem Restaurant in Öl eingelegt bekommen.
11 – Peperone, dolce (süß), mild. Wird frisch in Salaten, geröstet (Antipasti, Soßen) und getrocknet verwendet. |
In Kalabrien nennt man die scharfen roten Chilis auch liebevoll Diavolino („Teufelchen“; Mehrzahl Diavolini).
Erntezeit
Als nächstes führt uns das Trio zu einem überdachten Platz am Rande der Felder – dort stapeln sich Berge frischer Chili-Pflanzen, von denen die Schoten per Hand gepflückt werden. Wie praktisch – da die Pflanzen ohnehin nur einjährig genutzt werden, sammelt man sie ein, statt dass sich Pflücker im Feld stundenlang bücken müssen. (In Malawi und Zimbabwe sieht dies anders aus – die dort angebauten Birdeye-Pflanzen werden zwei- bis dreijährig genutzt). |
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Die Ernte ist jetzt – Anfang September – in vollem Gange und wird wie in jedem Jahr bis spätestens am 20. September abgeschlossen sein.
Und was wird aus den Peperoncini?
Die Tour endet in einer Halle, in der bereits feuerrote Chili-Stränge von der Decke zum Trocknen hängen, soweit das Auge reicht. Fleißige Frauenhände fädeln die Schoten zu denFilas auf, dem Gegenstück zu den Ristras New Mexicos. Auch „Mini-Kirschen“ werden aufgefädelt. |
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Eine weitere Gruppe sticht aus den größeren Kirsch-Chilis das Innenleben aus. Dabei kommt ein ähnliches Werkzeug zum Einsatz, wie man es bei uns zum Ausstechen von Apfelkerngehäusen verwendet.Diese Schoten füllt Delizie di Calabria mit Leckereien wie Steinpilzen, Anchovis oder Käse. |
Ein großer Teil der pikanten Chili-Schoten wird bereits hier gleich nach der Ernte zur Herstellung der berühmten kalabrischen Hot Sauces (Salsa Piccante) vorbereitet: Die entstielten Peperoncini kommen in große Fässer, wo sie eingesalzen für 8 Monate reifen. Soweit ähnelt der Prozeß der Produktion der klassischen Louisiana-Soßen in den USA. Bei den kalabrischen Soßen sind im Endprodukt jedoch auch die (pürierten) Schoten enthalten, was dickflüssigere Soßen mit weniger Essig und intensivem Geschmack ergibt. |
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Bevor wir Abschied nehmen, lädt uns das Peperoncino-Trio in ein dörfliches Straßencafé ein, das mit einem kleinen Laden kombiniert ist. Das typisch kalabrische Erfrischungsgetränk aus kaltem Kaffee und süßer Limonade ist eine echte Erfrischung, besonders nach den vielen Peperoncino-Proben. Enzo tuschelt kurz mit dem Wirt, und schon kommt eine weitere Spezialität der Region auf den Tisch: Salsiccia, eine leckere luftgetrocknete Wurst aus magerem Schweinefleisch, die mit Fenchelsaat und – wie könnte es anders sein – reichlich Peperoncino gewürzt ist. Nachdem uns die Wurst so gut schmeckt, bekommen wir sogar noch einen kompletten Ring davon geschenkt. Auf dem Weg zurück zu unserem Wagen stoppt Enzo dann noch bei einem kleinen Backbetrieb namens Antico Forno Normanno. Hier kauft er uns eine Packung Tarallini al Peperoncino, ein kalabrisches Knabbergebäck aus Mehl, Weißwein und – Peperoncino piccante. Es erweist sich als Nascherei mit Suchtfaktor – einmal geöffnet, kann man die Tüte kaum wieder schließen.
Ein interessanter Tag geht zu Ende. Wir haben nicht nur die Peperoncini Kalabriens gefunden, sondern auch die liebenswerten Menschen, die sie mit Stolz und Enthusiasmus kultivieren und daraus pikante Spezialitäten zaubern.
Das heißt, ganz zu Ende ist der Tag noch nicht, denn heute abend geht’s noch ins Museum.
Ins Chili-Museum! Mehr darüber im nächsten Beitrag …
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