Weiter geht’s in der Anstalt…
In Teil 1 hat „unser Mann in Norditalien“ Frank Neulichedl bereits die Chili-Versuchsanstalt “Azienda Agraria Sperimentale Stuard” im norditalienischen Parma vorgestellt. Hier nun ein Interview mit deren Direktor, Dr. Mario Dadomo.
Im Frühjahr geht’s los – der eifrige „Chili-Farmer“ setzt seine Zöglinge in Töpfe oder ins Freiland und somit beginnt die Saison. Und wer keine Pflanzen aus Samen gezogen hat, greift auf Jungpflanzen aus dem Gartencenter oder Baumarkt zurück. Dort ist die Auswahl an Sorten aber meistens nicht gerade überwältigend. Die Versuchsanstalt Stuard in Parma hat deshalb neben der Feldbesichtigung im Herbst auch einen Tag der offenen Tür im Frühjahr. Dort kann man Jungpflanzen der dort gezüchteten Sorten, aber auch welche aus ihrer internationalen Sammlung günstig erstehen.
Ich ließ mir diese Möglichkeit natürlich nicht entgehen und stattete Dr. Mario Dadomo, dem Direktor der Versuchsanstalt einen Besuch ab und hab auch gleich ein Interview gemacht. Hier nun einige Einblicke in die Versuchsanstalt, ihre Tätigkeit und natürlich auch ein paar Tips für alle „Chili-Farmer“ zuhause.
Dr. Mario Dadomo bei seinen „Zöglingen“
PW: Erzähl uns etwas von dir. Wie bist Du zur Versuchsanstalt Stuard gekommen, was hast Du studiert und was war der Grund, dass du Dich für diese Arbeit entschieden hast?
Mario: Um ganz ehrlich zu sein, war alles nur Zufall. Ich habe bei einem Wettbewerb für einen „fixen Staatsposten“ beworben, habe aber nicht gewonnen und musste mich sozusagen „umbiegen“ in eine Arbeit, die komplett neu zu erfinden war und keine sichere Zukunft bot.
Ich habe ein Diplom in Agrarwissenschaften, kam aber von einer langen Auszeit als Sportler. Ich war Mittelstreckenläufer und trainierte täglich sehr hart. Ich hatte also den sportlichen Geist, mich in dieses Abenteuer mit all meiner Energie zu stürzen.
Es war das Jahr 1983, und in der Anstalt gab es nicht mal einen Traktor, um die Wagen zu ziehen. Ich habe aber mit meiner ganzen Energie etwas aus praktisch nichts zu erschaffen, gerade so als ob alles mir gehören würde. So bin auch ich, mit der Anstalt zusammen, Schritt für Schritt gewachsen, und heute ist die Anstalt international renommiert insbesondere bei den Versuchsreihen zur Produktion von integriertem und biologischem Anbau.
Schlaraffenland für „Chili-Farmer“: Peperoncino-Pflanzen wohin man schaut.
PW: Was sind die Hauptaufgaben der Versuchsanstalt?
Mario: Die Versuchsanstalt Stuard gehört der Provinz Parma, und ist Teil eines Netzwerks von Anstalten der Region Emilia Romagna. Unser Hauptgebiet ist die Forschung mittels Feldversuchen. Die Resultate werden dann veröffentlicht und kommen denjenigen zugute, die im agro-industriellen- und umwelttechnischen Bereich arbeiten (Landwirte, Industrie, Erzeugergenossenschaften, Samenhersteller, usw.). Und natürlich für die Allgemeinheit, da der Großteil unserer Versuche darauf abzielt, Qualitätsproduktionen im Einklang mit der Natur zu ermöglichen. Mit Ausnahme von Obstbäumen forschen wir an allen Nutzpflanzen, die für Norditalien interessant sind. Dabei haben wir ein besonderes Augenmerk auf Tomaten für Industrieanwendungen, Zwiebeln, Hülsenfrüchte usw., und zwar mittels Sortenwahl, Düngung, Unkrautkontrolle, technologischen Verbesserungen usw. Natürlich bieten wir auch unsere Dienste an in Bezug auf Beratung, technische Aspekte der Anzucht und viel mehr. Mehr Informationen findet man auf unserer Webseite unter www.stuard.it (in italienischer Sprache).
Ein Meer von Farben: Zier-Chilis
PW: Wann ist Dein Interesse für Chilis entbrannt?
Mario: Vor 20 Jahren, fast am Anfang meiner Tätigkeit bei der Anstalt. Damals wußte ich noch nichts von der „Allogamie“ der Art Capsicum, also der natürlichen Tendenz der Pflanzen, sich Kreuzbestäuben durch die hohe Anziehungskraft, welche die Blüten auf die Bestäubungsinsekten ausüben. Diese fliegen von Blüte zu Blüte, um Nektar zu suchen und verteilen den Blütenstaub von einer Pflanze zur anderen und befruchten sie. Auf diese Art und Weise entstehen viel Spontan-Hybriden, aus denen man dann Pflanzen von Interesse aussuchen kann. Als ich dies am Anfang nicht wußte wurde ich sehr Neugierig, da man aus den Samen einer Pflanze praktisch nie die gleiche Pflanze zieht, und so wollte ich das Thema näher untersuchen. So habe ich in der übrigen Zeit angefangen zu experimentieren. Seit nun mehr 10 Jahren arbeite ich Konstant an diesem Projekt und so verdoppele ich fast jährlich die zu verfolgenden Linien, welche von wenigen Dutzend zu nun über 1000 angewachsen sind (ich muss zugeben, dass es mir schwerfällt sie nicht weiterhin zu verdoppeln).
PW: Die Versuchsanstalt Stuard verfolgt das Programm „Genetische Verbesserung der Chili-Pflanze“. Wie und wann ist dieses Projekt entstanden?
Mario: Alles hat fast zum Spaß angefangen. Mit der Zeit habe ich versucht das ganze etwas organisierter und professioneller anzugehen. Das Problem war aber, dass niemand dieses Projekt finanzieren würde, viel zu wenig an Agronomische Aspekte angepasst, und so haben wir uns eine alternative Finanzierung gesucht. Wir haben begonnen die „Früchte“ unserer Arbeit zu verkaufen: Stecklinge, Pflanzen und Chilis. Zur Zeit können wir dank dem stetig wachsenden Interesse (auch von Euch) können wir unserer Arbeit fortführen und weiterentwickeln. Unsere Verkaufsaktionen richten sich an Gartencenter, Landwirte usw., aber vor allem an interessierte Privatpersonen, welche viel mehr sind als ursprünglich angenommen.
Jeder fängt mal klein an: Eine neue Linie wird aus Samen herangezogen.
Um Fremdbestäubung zu verhindern schützt man die Blüten durch Vlies
PW: Welche sind die Hauptziele der genetischen Verbesserung? Wollt ihr schärfere Chilis, oder resistentere oder einfach nur schönere Pflanzen?
Mario: Das Hauptaugenmerk liegt darauf, Chilis (Pflanzen und Früchte) zu erzielen die schön sind! Aber dies reicht nicht: manche wollen sie super-scharf, andere nur wenig scharf, andere wieder fast süß, zum Trocknen, zum Frischverzehr… und so versuchen wir keinen Aspekt zu vernachlässigen. Außerdem müssen sie ausreichend „rustikal“ sein, um nicht von zuviel chemischen Behandlungen abhängig zu sein, welche vor allem bei der Anzucht zu Hause problematisch sind. Und zu guter letzt gefällt es uns eine Sammlung an Sorten aus aller Welt zu haben (Habanero, aber auch andere Klassiker), weil diese sehr von den Chili-Liebhabern gefragt werden.
PW: Wie züchtet man eine neue Art, welche Methoden werden angewandt?
Mario: Unsere besten Mitarbeiter sind…..die Bienen! Sie sind es, welche durch ihre Bestäubungen die besten Resultate erzielen (trotz unserer Bemühungen gezielte Kreuzungen zu schaffen). Es liegt dann an uns, die besten Pflanzen auszusuchen und mit viel Geduld und Vorstellungskraft jene zu wählen die uns am meisten interessieren. Es dauert immerhin mehrere Jahre um eine neue Sorte zu züchten (drei Jahre wenn man Glück hat, aber in einigen Fällen auch bis zu zehn Jahren).
Fast schon ein Opa: Frucht eines 6 Jahre alten Rocotillo-Strauches
PW: Gibt es besondere Methoden, die Ihr in der Selektion anwendet? Wie wird aus einer hybriden Form eine eigenständige Sorte?
Mario: Die Methode ist eigentlich ganz einfach, aber es braucht etwas Geduld. Zuerst schließt man eine Blüte mit Vlies ein. Damit verhindert man dass die Blüte von anderen Pflanzen befruchtet wird und somit zur Selbstbefruchtung gezwungen. Wenn die Frucht reif ist entnimmt man die Samen mit denen man im folgenden Jahr neue Pflanzen ziehen kann und sich die Prozedur wiederholt. Wenn dann nach einigen Jahren alle Nachkommen gleich aussehen hat man eine neue Linie. Diese kann schon eine eigenständige Sorte sein oder verwendet werden um eine Hybride herzustellen, indem man sie mit einer anderen dazu geeigneten Pflanze kreuzt um gewisse Eigenschaften zu erzielen. Die Arbeit an sich ist also ganz einfach, aber der Aufwand und die ganze Organisation (Identifizieren, Etikettieren, Beschreiben, Fotografieren, Verkosten, in die Datenbank einfügen, usw.) ist nicht zu unterschätzen.
PW: Habt ihr vor, Eure Sorten auf Lizenzbasis an Samenhersteller zu verkaufen?
Mario: Es wäre möglich und es laufen auch schon Gespräche. Natürlich betrifft dies nur einige unserer Sorten, da ein Samenhersteller lieber 1 Million Samen von 3 Sorten verkauft, als 10.000 von 90 Sorten (die wir zur Zeit führen). Der Kostenfaktor viele Sorten getrennt und sortenrein zu halten ist hoch, und wir können es uns nur dank unserer großen Leidenschaft leisten.
PW: Welche Aktivitäten finden diesmal während „Fattorie aperte“ (Tag der offenen Fertigungsstätten) statt?
Mario: Während dem Tag der offenen Tür werden Hauptsächlich die 90 Sorten, die wir im Angebot haben, vorgestellt und Pflanzen verkauft. Außerdem geben wir Tips zur Aufzucht und die Verwendungszwecke. Es sind auch Kollegen von anderen Bereichen hier, welche die verschiedenen Bereiche unserer Tätigkeit vorstellen. Besonders hervorzuheben ist, dass dieses Jahr auch die Versuchsanstalt „Bocchialini“ bei uns vertreten ist, welche alte Kultursorten sammelt und bewahrt. Immerhin haben sie bis jetzt über 600 verschiedene Apfel-, Birnen-, Pfirsich-, Aprikosen-, usw. -Sorten gesammelt!
PW: Gibt es während des Jahres noch weitere Chili-Veranstaltungen?
Mario: Ja, es wird wieder die Feldbesichtigung geben. Es werden über 1000 Selektionen und Sorten aus unserer Sammlung zu sehen sein. Sie findet voraussichtlich am 12. Oktober 2003 statt, am Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus, schließlich kommen die Chilis ja von dort. An diesem Tag werden auch die verschiedenste Arten gezeigt, wie man Chilis verwenden kann (Kettchen, Körbe und Gestecke, usw.), Äste um Kompositionen mit Blumen zu arrangieren. Natürlich gibt es auch Früchte zu kaufen, die nach Form, Farbe, Schärfe und Herkunft ausgesucht werden.
PW: Um dies alles zu bewerkstelligen habt Ihr sicher Helfer, oder?
Mario: Natürlich hatte und habe immer noch Helfer, die mir bei den Veranstaltungen und anderen Aktivitäten helfen, außerdem haben wir Hilfskräfte für die Feldarbeit. Giovanna Bonetti, Agrarwissenschaftlerin die in Spanien lebt, haben wir zu verdanken, dass wir uns aus der „Nussschale“ befreit haben, und uns somit der Öffentlichkeit gestellt haben. Sandro Cornali, Michele Conti und Luigi Ugolotti vertreten mich zur Zeit des öfteren auf den Märkten, auf die wir uns begeben um mehr Interessenten zu erreichen. Aber ich habe auch das Glück eine Partnerin zu haben, die meine Leidenschaft mit mir teilt. Manuela Lavado Sànchez unterrichtet Ökologie an der Universität der Estremadura (Spanien), hilft mir aber immer wenn sie kann mit Tips und sehr gezielten Ratschlägen; sie hatte auch die Regie beim Markt an unserem Tag der offenen Tür im vergangenen Jahr, und sie die wunderschönen Gestecke zusammengestellt.
Mario Dadomos Gattin Manuela mit einem „scharfen Strauß“
Foto: Mario Dadomo
Die „Accademia del Peperoncino“ (Chili-Akademie) hat immer mehr Zulauf, in welchen Verhältnis steht ihr zur Akademie.
Mario: Das Verhältnis ist sehr eng, schließlich bin ich der Abgeordnete der Provinzen Parma, Piacenza und Reggio Emilia. Meine Funktionen in der Akademie und der Anstalt trenne ich, aber ich versuche auch neue Mitglieder anzuwerben. Die Akademie ist eine No-Profit-Organisation und ich versuche den Mitgliedern auch die in der Anstalt gesammelten Erkenntnisse weiterzugeben. Außerdem können Mitglieder Samen und Pflanzen erwerben. Vor zwei Jahren hat die Akademie auch ein Stipendium für eine Doktorarbeit gestiftet. Dr. Paolo Poggi hat in enger Zusammenarbeit mit der Versuchsanstalt die Inhaltsstoffe des Capsaicins erforscht, das Alkanoid, welches die Chilis so scharf machen. Mehr Informationen über die Akademie findet man unterwww.peperoncino.org
Welche Ziele setzt sich die Versuchsanstalt Stuard für die Zukunft, insbesondere für das Chili-Projekt?
Mario: Zuallererst werden wir ein neues Gewächshaus bauen, um für unsere Bedürfnisse der Selektion, der Anzucht und des Verkaufs besser gerüstet zu sein. In der Zwischenzeit werden wir die Anzahl der Sorten in unserer Sammlung erhöhen, ohne aber zu Übertreiben. Wir werden vor allem ein Augenmerk darauf legen Neuigkeiten zu präsentieren, welche man nur hier bei uns findet. Dann wird man sehen, denn es stimmt zwar, dass die geschaffte Leistung auch mehr Anerkennung verdienen würde, aber wir wollen nicht, dass wir bei zu schnell Ansteigenden Nachfrage, wir uns nicht mehr unserer Arbeit und unseren Kunden widmen können.
Azienda Agraria Sperimentale Stuard
Strada Madonna dell’Aiuto, 7
I-43016 San Pancrazio Parma
Teil 1: Tag der offenen (Gewächshaus-)Tür in Parma
Teil 3: Tag der offenen Tür (und Chili-Felder) in Parma. Oktober 2010
Story & Fotos von Frank Neulichedl. Frank lebt in Lana (Südtirol) und ist seit vielen Jahren Chilifan und Hobbykoch. Nach einer technisch und Software-ausgerichteten Ausbildung hat ihn seine zweite Leidenschaft, das Kommunikations-Design gepackt und er arbeitet nach einem Design-Studium in einer Werbeagentur in Bozen.