Kann man Capsaicin überdosieren?
von Dave DeWitt
Kann man von etwas Gutem zuviel bekommen? Nicht von Capsaicin, der natürlichen Scharfmachersubstanz in Chilis (und Hot Sauce), sagt der amerikanische Chili-Guru Dave DeWitt.
Manche Hersteller benutzen hochkonzentriertes Oleoresin (Chili-Extrakt) von 1 Million Scoville-Einheiten zur Produktion von Extrem-Hot-Sauces. Da erhebt sich die Frage, ob Capsaicin gefährlich werden kann, wobei natürlich ist die größte Gefahr der Tod ist. Ist es möglich, dass Capsaicin töten kann, wenn es nur hoch genug dosiert ist?
Im Jahre 1980 haben Wissenschaftler ein ziemlich grausiges Experiment an Mäusen, Ratten, Meerschweinchen und Hasen durchgeführt, um eine für Tiere tödliche Giftkonzentration in Capsaicinoiden zu bestimmen und dieses Niveau für den Menschen umzurechnen. Dazu wurde den Tieren reines kristallines Capsaicin (16 Millionen Scoville-Einheiten) intravenös, subkutan, in den Magen und äußerlich verabreicht, bis die Tiere verendeten. Die daraus gewonnene Erkenntnis der tödlichen Dosis in Milligramm, bezogen auf 1 kg Gewicht der Tiere, reichte von nur 0,56 mg bei intravenöser Verabreichung über 190 mg bei Verzehr bis zu 512 mg bei äußerlicher Anwendung (hier ertranken die armen Tiere buchstäblich in Capsaicin). In allen Fällen wurde als Todesursache Atemlähmung angenommen. Am empfindlichsten reagierten die Meerschweinchen auf das Capsaicin, die Hasen am wenigsten. T. Glinsukon, Autor der Studie, schloß daraus, dass die akute Toxizität von Capsaicinoiden als Zusatz zu menschlichen Nahrungsmitteln vernachlässigbar ist. Seien Menschen etwa so empfindlich wie Mäuse, so läge die akute tödliche Giftdosis für eine Person von ca. 68 kg bei 13 Gramm von purem, kristallinen Capsaicinoid, was DeWitt für eien recht hoch angesetzten Wert hält. Seiner Meinung nach wäre schon eine geringere Menge tödlich.
Es gab auch schon Untersuchungen bezüglich für den Menschen gefährlicher Dosen von capsaicinhaltigen Substanzen. So hat z. B. C. L. Winek eine Studie in „Drug and Chemical Toxicology“ veröffentlicht, die die mögliche Überdosierung von Tabasco ® Hot Sauce untersuchte. Er kam zu dem Schluß, dass eine normalgewichtige Person fast eine halbe Gallone (ca. 2 Liter) der Soße konsumieren müßte, um es zu übertreiben und ohnmächtig zu werden. [Anm. d. PW Red.: Viel Spaß dabei!]
In einer ähnlichen Studie wurden Ratten mit großen Mengen Tabasco ® Soße gefüttert, ohne dass „grobe oder auch nur mikroskopisch geringe pathologische Veränderungen oder irgendwelche anderen bedeutsamen biochemischen Veränderungen“ bei den Tieren auftraten; auch ihre Wachstumsrate blieb normal.
In einer weiteren Studie wurde Ratten grober Extrakt aus Chili-Schoten und kristalline Capsaicinoide per Magenschlauch verabreicht, wobei sie nicht an normales Futter und Wasser gelangen konnten. Keine der Ratten ist gerstorben, alle zeigten sich während der gesamten Studie durchaus normal. Die Ratten wurden nach Abschluß der Studie getötet und Autopsien durchgeführt; es wurden jedoch keine groben pathologischen Veränderungen entdeckt.
Auch Menschen haben sich als „Versuchskaninchen“ für Oleoresin Capsicum zur Verfügung gestellt, das zur Erlangung extremer Schärfe in Soßen mit Namensbestandteilen wie „Insanity (Wahnsinn)“, „Death“ (Tod)“ oder „Suicide (Selbstmord)“ verwendet wird. Solche Soßen werden auf einschlägigen Messen bisweilen von Personen probiert, die keine Ahnung haben, wie scharf sie sind. Menschen mit wenigen Geschmacksknospen im Mund macht die Schärfe gar nichts aus; die meisten Leute reagieren jedoch eher negativ auf die Super-Hot-Soßen, zum Beispiel mit extremem Brennen und manchmal Blasen im Mund und auf der Zunge. Weitere Sofortwirkungen können zum Beispiel Kurzatmigkeit, Ohnmacht, Übelkeit und sponanes Übergeben. Jeder sollte mit kommerziell angebotenen Soßen, die Oleoresin Capsicum enthalten, äußerst vorsichtig sein und sie nur in sehr kleinen Mengen probieren.
[Anm. d. PW Red.: Neuere Forschungen zeigen, dass die Schärfewahrnehmung nichts mit den Geschmacksknospen, sondern den Thermorezeptoren zu tun hat – mehr dazu in unserem Capsaicin-Beitrag]
Abgesehen von den oben geschilderten möglichen Reaktionen können Extrem-Soßen keinen ernsthaften Schaden anrichten. Einer der weltweit renommiertesten Capsaicin-Experten, V.S. Govindarajan (Autor der Mammut-Studie „Capsicum-Production, Technology, Chemistry, and Quality) schrieb, dass in „umfassenden Nährwert-Untersuchungen keinerlei abträgliche Auswirkungen von Chilis oder Capsaicinoiden in bis zur 10fachen Höhe normaler Verbrauchermengen zutage gekommen sind“.
Und selbst wenn Sie es mit Super-Hot-Sauces zu bunt treiben – kein Grund zur Angst, denn sie werden schnell im Metabolismus der Leber verarbeitet und innerhalb weniger Stunden mit dem Urin ausgeschieden.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors, aus The Chile Pepper Encyclopedia, von Dave DeWitt, William Morrow & Co., 1999
Anm. d. Pepperworld Red.:
- Mittlerweile sind Capsicum-Extrakt-Produkte im Millionen-Scoville-Bereich am Markt, die man nicht mehr als Hot Sauce bezeichnen kann, und die aufgrund der hohen Konzentration in der Hand von Kindern oder Leichtsinnigen durchaus riskant sein könnten. Im Pepperworld Hot Shop würden wir derlei niemals anbieten und ziehen die Grenze bewußt bei ca. 120,000 Scoville-Einheiten. Darüber hinaus brennt’s ohnehin in erster Linie im Geldbeutel, denn Capsicum-Oleoresin-Extrakt ist teuer. Bei sehr hoch konzentrierten Extrakten kam es im Herbst 2011 sogar tzu Rückrufen. Zudem sollte der Genuss nicht auf der Strecke bleiben, finden wir.
- Auf jeden Fall sollte man die auf den Behältern extrem scharfer Produkte aufgebrachten Warnhinweise ernst nehmen, insbesondere: Sehr sparsam und nicht unverdünnt verwenden. Haut- und Augenkontakt vermeiden. Von Kindern unbedingt fernhalten.
- Wohl nicht zuletzt wegen der unnötig scharfen Capsicum-Extrakte und Problemen z. B. bei Wettessen erschien im Oktober 2011 auch eine Stellungnahme des Bundesamts für Risikobewertung. In dem PDF-Dokument heißt es unter anderem: „Das BfR geht dabei davon aus, dass die Schärfe, die traditionell von Erwachsenen bei einer Mahlzeit akzeptiert wird, maximal einer Dosis von 5 mg Capsaicin je kg Körpergewicht zugeordnet werden kann. Das entspräche einer Aufnahme von 300 mg Capsaicin durch einen 60 kg schweren Erwachsenen über eine Mahlzeit.“ Diesen Wert empfiehlt das BfR dann auch als Maximaldosis pro Mahlzeit.
- Nachdem Scoville-Einheiten ja = mg/kg Capsaicingehalt * 16 sind, entsprächen 300 mg Capsaicin in 1 kg Lebensmittel (sagen wir mal 1 l Suppe) immerhin 4800 SHU – eine ganze Menge. Das wär ’ne Suppe, die immerhin so scharf wäre wie Tabasco® Red Pepper Sauce pur. Andererseits empfiehlt das BfR für Soßen bereits ab 100 mg /kg (1600 SHU, also weniger als Tabasco® Red Pepper Sauce) Sicherheitsverschluss und Warnhinweise … womöglich etwas übertrieben.
- Tipp: Unsere Top Ten zum Zähmen zu feuriger Gerichte und zum Löschen, wenn’s trotzdem zu scharf war, finden Sie hier
Dave DeWitt Info
Nicht nur in den USA gilt Dave DeWitt als der „Pope of Peppers“. Mehr als 30 Bücher hat der Pepper-Papst zu den heissen Themen Chilis und Fiery Foods bereits geschrieben. Außerdem kreierte er die Video-Serie Heat up your Life und produziert die alljährliche Fiery Foods Show. Des weiteren betreibt Dave die Fiery Foods & Barbecue SuperSite.
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