Kalocsa – Ungarns Paprika-Hochburg
Womöglich haben Sie noch nie von Kollotschau gehört. Das ist der deutsche Name für die südungarische Kleinstadt Kalocsa, 120 km südlich von Budapest am östlichen Ufer der Donau gelegen. Mit knapp 20,000 Einwohnern ist Kalocsa eine der ältesten ungarischen Städte überhaupt, und Chiliheads als ungarisches Paprikazentrum bekannt. Unser capsaicinoider Weltenbummler Gerald Zhang-Schmidt hat dort für Pepperworld im Herbst 2011 das Paprikafest besucht und die ungarische Küche erkundet.
Auf dem Pfeffer-Pfad zum Paprika-Festival in Kalocsa
Für jeden Chilli-Begeisterten in Europa scheint es ein paar Hundert andere zu geben, die sich aus Schärfe gar nichts machen. Kein Wunder also, wenn man bei dem Thema an Mexiko denkt, an Südamerika, an Indien und Südostasien, aber nicht gerade an unseren „alten Kontinent“. Bei näherer Betrachtung fällt es einem dann aber wie Schuppen von den Augen: „Paprika“, ob nun als milder Gemüse- oder scharfer Gewürzpaprika, ist doch auch Chilli – und was wäre Ungarn ohne seinen Paprika?
Kalocsa, neben Szeged einer der „Hotspots“ der Paprikaproduktion auf der südungarischen Tiefebene, bietet mit seinem alljährlichen Paprikafestival Mitte September (und einem eigenen Paprikamuseum) den idealen Anlass, sich Ungarn einmal genauer anzusehen. (Ich bin ja noch dazu im Burgenland, dem fernen Osten Österreichs, zu Hause – dies hier war bis zum Ersten Weltkrieg selbst noch Ungarn). Also auf zum Nachbarn.
Auf dem Weg wird es gerade einmal um Budapest zwischendurch etwas hügeliger; ansonsten aber scheint das flache Burgenland geradewegs in das noch flachere Ungarn überzugehen. Von dem früheren „Todesstreifen“ des Eisernen Vorhangs merkt man genau gar nichts mehr. Die Sprache ändert sich natürlich, aber selbst Grenzkontrollen sind dank Schengen praktisch inexistent. Die Fahrt beginnt mit den modernen Regionalzügen von Wien, setzt sich mit ungarischen (praktisch identischen) Regionalzügen fort und geht schließlich von Budapest mit einem Volanbusz/Eurolines-Bus ans Ziel.
Weite Landschaft; breite Felder von Sonnenblumen, Mais und Soja; kleine Häuser, in deren Vorgärten oft Gemüse und auffallend häufig ganze Reihen an Wein angebaut werden; viele Tante Emma-Läden, wie es sie in Mitteleuropa schon lange nicht mehr gibt … wer aber schon am Weg auffällig strahlende Paprikafelder erwartet hätte, der würde enttäuscht.
Eine erste Erkundung zeigt die Stadt als eine zurückhaltende und doch faszinierende Mischung. Einerseits scheint sie sehr verschlafen, andererseits finden sich viele Kinder und so manche kulturelle Einrichtungen.
Das Paprikamuseum ist voller (amerikanischer) Touristen auf Reisen entlang der Donau. Die ausgestellten Paprikadosen alleine sind in ihren unterschiedlichen Designs faszinierend. Der Anblick der früher für die Herstellung von Paprikapulver verwendeten Külü, gemacht aus einem ganzen Wurzelballen eines Baumes, beeindruckt mich (nicht zuletzt, weil ich für einen Freund auf der Suche nach einer ebensolchen wäre – in den Rucksack würde dieses Gerät aber nicht gerade passen), aber sonst kaum jemanden. Die Infotafeln sind, bis auf wenige Beschreibungen zu Ausstellungsstücken, nur auf Ungarisch. So viel zum Thema „touristisch“.
(Alte) Paprikadosen im Paprikamuseum von Kalocsa
Paprikamuseum Kalocsa
Ebenso mit dem Paprika. Selbst am ersten Tag des Festivals, zu der Zeit, da dem Programm nach eigentlich schon erste Veranstaltungen losgehen sollten, war gerade einmal am wesentlichen Veranstaltungsort ein wenig von Aufbauarbeiten und ersten Ausstellern von Handwerksprodukten (wie Porzellan der Manufaktur von Kalocsa, die uns schon gegenüber der Busstation begrüßt hatte, sowie Stickereien) und regionalen Lebensmitteln (im Wesentlichen, Honig und Fleisch- und Wurstwaren) zu sehen.
Fleisch und Wurst am Markt. Auch hier, csipös (scharf) oder nicht?
Den Weg, den wir entlanggingen, war es zu weit, um auch nur auf Felder hinauszukommen – und dann lag da plötzlich, am Grundstück einer Autowerkstatt, ein kleines Paprikafeld vor uns. Die nächste Reihe an Paprika stand, einige Häuser weiter, im Garten. Ein Stück des Weges weiter schlägt uns dann Chilligeruch in die Nase – offenbar war das Fabrikgelände, zu dem wir kamen, eine Paprikamühle; das ließ sich durch den Lastwagen vollgeladen mit Säcken an Paprika dann auch leicht erkennen.
Blick über die Mauer an der Paprikamühle
Am Weg zurück zum Hotel, weitere Plastiknetze an Paprika, die an einigen Häusern entlang der Dachkante zum Trocknen aufgehängt waren; der Geruch von bratendem Chilli und Zwiebel steigt plötzlich in die Nase. Wir fühlen uns fast wieder nach Hunan versetzt…
Trocknungsanlage? Hausmauer!
Plötzlich, ein Paprikafeld an einer Autowerkstatt…
Ein wenig später, ein wenig verwundert über ungarische Zeitpläne – oder das eigene Verständnis derselben, da diese nämlich auch nur auf Ungarisch zu bekommen sind – sitzt man dann mit einem fantastischen Eis vor Kathedrale und Bischofssitz von Kalocsa (neben dem Paprikamuseum wohl die eigentlichen, nicht zuletzt touristisch, bedeutenden Bauwerke der Stadt), als plötzlich das Klappern von Pferdehufen zu vernehmen ist. War da nicht noch die Rede von einem Pferde-Umzug?
Tatsächlich. Pferdewagen, Pusztareiter, Männer und Frauen in traditioneller lokaler Tracht; Tanz auf dem Platz; Peitschenknall und eine Ansprache zur Festeröffnung – von der man wieder einmal außer „Kalocsa“ und „Paprika“ rein gar nichts versteht. Man genießt die Eindrücke dennoch, vielleicht sogar umso mehr. Neben einem steht eine Touristin die meckert: „Sie hätten die Wagen aber wenigstens mit Paprika schmücken können…“
… und ein Paprikafeld zwischen zwei Häusern
Etwas Suche findet auch ein Paprikafeld am Acker
Am Festplatz wird bald darauf etwas Comedy, vor allem für die Kinder, geboten; die Besucher werden schon mehr; die nächste Straße entlang sind Aufbauarbeiten nun in vollem Gange. Der nächste Tag verspricht, interessant zu werden.
Tracht und Tanz (bei der Pferdeparade zum Auftakt)
Was man hätte vermuten können, das bestätigt sich an dem folgenden Tag, der, nicht nur dem Festprogramm nach, voll an Veranstaltungen ist. Die Stadtoberen ziehen durch die Straßen auf die Bühne (und gleich wieder ab); es gibt einen Paprika-Wettlauf (ich erzähle, wer verliert bekäme eine Chilli in den Allerwertesten und finde auch noch Glauben…); ‚Hirten’ zeigen ihre Künste mit der Peitsche; Mädchen bemühen sich um die Ehre der Wahl zur Paprikakönigin.
Auch anderes für die Augen, die Paprika-Königin 2011
Vor allem aber zeigt sich, dass, wo in Ungarn von Paprika die Rede ist, das Gulasch natürlich nicht weit sein kann. Zahlreiche Stände, die erst den Abend zuvor aufgebaut wurden, packen diesen Morgen ihre Emaillekessel aus, packen sie am Dreibein über eine Flamme und fangen an, nach ihrem jeweils bevorzugten Rezept zu kochen.
Beim Cook-off. Aber nicht Chili, Gulasch…
Aber wenn schon Cook-off, dann auch Prämierung des besten Gulasch
Von Gulasch zu sprechen ist dabei eigentlich nicht ganz richtig – eigentlich wird Gulasch (gulyasbzw. gulyasleves) mit mehr Flüssigkeit, als eine Suppe, bereitet; das stärker eingedickte Gericht, wie es hier gekocht wurde, nennt man pörkölt. Es gäbe allerdings verschiedene Varianten, und es würde alles bald etwas kompliziert. Selbst hier, selbst wenn man solche Speisen wie Krautfleisch nicht mitzählt und sich auf „einfache“ pörkölt, die im Wesentlichen aus Zwiebel, Fleisch und Paprika bestehen, konzentriert, kommt man schon auf so manche Unterschiede: mit Schwein oder Rind – oder in einem Topf offenbar mit Gänsefüßen; mit Tomaten oder ohne; mit frischen Paprika oder ohne – und wenn ja, dann mit welchen?
Mit ungarischen Wachspaprika und Tomate
Nicht wenige der Kessel fangen an, etwas an Hexenküche zu erinnern. Es brodelt und dampft daraus, und es duftet so intensiv, dass einem mehr als nur das Wasser im Mund zusammenläuft. Gleichzeitig aber tanzen dann wieder Kirschpaprika an der Oberfläche, die ein feuriges Erlebnis versprechen.
Gulasch mit „Granaten“ (peppige Kirschpaprika)
Mehr Gulasch…
Kein Chemieunfall, noch mehr Gulasch
Mit Kraut geht’s auch
Offenbar aber wird nicht gerade nach Schärferekorden gesucht; nicht einmal ein Chilli jenseits der wichtigsten ungarischen Paprika ließ sich blicken. Ohne Deutsch oder Englisch kommt man auch nicht so weit, Bekanntschaften zu machen. Man sieht aber einmal an einem Ort versammelt einen schönen Ausschnitt der alltäglichen und absolut nicht wegzudenkenden Bedeutung des Paprika in Ungarn, alles mehr in der Form eines Stadtfests als eines touristisch verkommenen großen Events.
Ausklang mit geselligem Beisammensein
Story und Fotos von Dr. Gerald Zhang-Schmidt; Illustration von Harald Zoschke
Anmerkung der Redaktion: Seit 2013 gibts auf dem Viktualienmarkt in München einen Stand namens „Paprika Haus“. Dort gibt es Paprikapulver in verschiedenen Variationen direkt aus Kalocsa und weitere ungarische Spezialitäten. Mehr dazu in unserem Viktualienmarkt-Bericht.