High-Tech für den Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt
Gatersleben. Man kennt es aus Science Fiction Filmen: ein lebender Organismus wird in einer Cryo-Kammer eingefroren, Jahrzehnte später wieder aufgetaut und zu neuem Leben erweckt. Dass dies aber alles andere als Zukunftsmusik ist, konnte man am 4. Juni 2016 beim Tag der offenen Tür im Leibnitz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, kurz IPK, in Gatersleben sehen.
Das IPK ist eine Forschungseinrichtung mit sehr vielfältigen Aufgaben. Eine davon ist der Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt. Um diese Aufgabe, die erst einmal simpel klingt, zu bewältigen, ist ein ziemlicher Aufwand von nöten: auf rund 20 Hektar Anbaufläche im Freiland und in weit über 100 „normalgroßen“ Gewächshäusern sowie gut einem Dutzend Großgewächshäusern werden Jahr für Jahr Nutzpflanzen verschiedenster Gattungen und Arten – auch der wilden Vorfahren – angebaut, um davon Saatgut zu gewinnen.
Um sicherzustellen, dass sich nichts miteinander kreuzt, werden zum Beispiel in den kleinen Gewächshäusern jeweils 3 bis 4 komplett unterschiedliche Pflanzen angebaut. Zum Beispiel wilder Brokkoli, Erbsen und Rüben. Um der Gefahr vorzubeugen, dass ein Bienchen von einem Haus ins nächste Fliegt, sind alle Öffnungen mit Insektenschutznetzen versehen.
Damit nun aber nicht jeden Tag ein Mitarbeiter mit einem Pinsel in der Hand abertausende Pflanzen bestäuben muss, holt man sich doch wieder Hilfe in der Natur. In alten Milchkartons, die in den Gewächshäusern hängen, sind mehrere Pappröhrchen angebracht. Darin wohnen Solitärbienen, die die Gewächshäuser dann nicht verlassen.
Nach der Ernte der Saat, wird diese vorgetrocknet und sortiert. Das passiert im Vavilov-Haus. In diesem Gebäude, das nach dem Begründer der ersten richtigen Genbank der Welt, dem Russen Nikolaj Vavilov, benannt ist, ist auch die Genbank sowie die Cryo-Abteilung unter gebracht. Das Säubern und Sortieren der Saat passiert übrigens per Hand. Was bei Melonensamen, Getreidekörnern und auch Chilis zwar nervig klingt, aber irgendwie machbar, nimmt eine völlig andere Dimension an, wenn man mal Samen von Salat, Basilikum oder Tabak gesehen hat…
Nach Reinigung, Sortierung und Vortrocknung geht es dann für die Samen schrittweise weiter in Richtung Kühlschrank. In mehreren Schritten werden die Samen auf eine Restfeuchte von unter 5 Prozent gebracht und die Temperatur kontinuierlich abgesenkt. Dann kommen die Samen in große Weckgläser in denen ein Päckchen Silicagel liegt, dass verhindern soll, dass Feuchtigkeit am oder im Saatgut bleibt. Bevor die Gläser in eine der vier -18 Grad Celsius kalten Kühlkammern in Regale eingelagert werden, wird zuvor noch ein Muster in eine kleine Folie vakuumiert. Dieses Muster geht dann in den Vault nach Spitzbergen, wo es im Permafrostboden ebenfalls eingelagert wird.
Je nach Pflanzenart sind die Samen in den Gläsern dann bis zu 25 Jahre oder sogar länger haltbar. Chili Saatgut hat sich als eines der robusteren erwiesen – bis zu 25 Jahre seien unter diesen Bedingungen auf jeden Fall drin, erklärte Dr. Börner, Leiter der Abteilung Genbank.
Wird nun genetisches Material in Form von Saatgut beim IPK bestellt, beginnt ein vergleichsweise aufwändiger Prozess: nach Prüfung ob das Saatgut noch in ausreichender Menge für eine Abgabe (es werden meist 20 bis 30 Korn verschickt, variiert aber von Pflanzenart zu Pflanzenart und nach voraussichtlicher Keimqualität) vorhanden ist, werden die Gläser aus dem Kühlschrank schrittweise aufgetaut. Das ist wichtig, damit sich kein Kondenswasser bilden kann, denn schon winzige Eiskristalle in einem Saatgutkorn würden dieses töten. Dann wird eingetütet, verschickt und das Glas durchwandert die gleiche Einfrierprozedur noch einmal. Verwendet werden, wie auf den Fotos zu sehen, tatsächlich Weck Gläser, aber auch Schraubgläser.
Da es nicht möglich ist, alle Pflanzen durch Saatgut zu erhalten, gibt es aber noch mehr Möglichkeiten. Kartoffeln wie wir sie kennen zum Beispiel, sind nicht selten instabile Mehrfachkreuzungen, deren Saatgut, wenn es denn überhaupt keimfähig ist, mit ziemlicher Sicherheit irgend ein anderes Ergebnis brächten. Da sich Kartoffelknollen aber auch nur bedingt lagern lassen (kennt wohl jeder, der die Kartoffeln mal ne Weile im Schrank vergessen hat…), wird hier mit zwei Methoden gearbeitet. Zum einen werden die Pflanzen in kleinen Plastikboxen in einem nährboden unter Kunstlicht lebend gehalten, zum anderen werden Pflanzenteile mit hoher Zellteilungsfähigkeit (das ist der Bereich um die Blattachsen herum, also auch die Stelle an der man gängiger Weise Stecklinge schneidet oder veredelt) in flüssigem Stickstoff tiefgefroren. Wie im Science Fiction Film eben. Wie das genau abläuft wurde im Rahmen des Tages der offenen Tür nicht nur großen Besuchern erklärt, sondern auch in mehreren Kinderführungen lebhaft demonstriert.
Generell wurde viel zum mitmachen geboten: Gewächshausführungen, DNA to Go aus der Mundschleimhaut und eine Kräuterbörse zum Beispiel. Alles in allem war es ein toller Tag – für den man aber defintiv etwas Zeit mitbringen muss.
Text und Bilder Nico Jäkel