Über Scoville-Einheiten finden Sie hier alles Wichtige. An dieser Stelle nun ein wenig mehr über den Wissenschaftler Wilbur Scoville zum 100. Jubiläum seines Schärfetests.
Wilbur Scoville: Bereits vor 100 Jahren
quantifizierte die Chili-Schärfe.
Als Wilbur Lincoln Scoville 1865 in Bridgeport im Neuengland-Staat Connecticut geboren wurde, war gerade der Bürgerkrieg Nord gegen Süd zu Ende gegangen. In Bridgeport begeisterte sich Wilbur auch schon in frühen Jahren für Pharmazeutik und begann mit 14 Jahren die Arbeit in einer Drogerie. Das prägte ihn offenbar, denn im Alter von 22 Jahren zog er nach Boston, um dort am Massachusetts College of Pharmacy zu studieren; 1889 garduierte er als Ph.G, als Doktor der Pharmazeutik. Drei Jahre später hatte er dort einen Lehrstuhl als Professor in seiner Fachrichtung, und auch journalistisch wurde er aktiv – 1894 zunächst als Redakteur des Journals New England Druggist, später dann als Pharma-Redakteur bei The Spatulam, der Hauspublikation seiner Universität.
Ein Jahr später, mit 30 Jahren, wurde sein wohl wichtigstes Werk veröfffentlicht: The Art of Compounding, (Die Kunst der Zusammensetzung) was published. Das Buch war bis in die 1960er Jahre praktisch eine Standard-Referenz für Pharmazeuten , und wie sein Untertitel “A Text Book for Students and a Reference Book for Pharmacists at the Prescription Counter“ besagt, ist sowohl für Lehrzwecke als auch als Nachschlagewerk für Apotheker bestimmt. Scoville’s Buch ist übrigens auch heute noch (oder wieder) sogar über Amazon bestellbar. Unser langjähriger Freund Dave DeWitt hat darin eine potenzielle Premiere gefunden, nämlich die Erwähnung von Milch als Mittel gegen das Brennen von Substanzen wie Capsicum und Ingwer!
Scovilles Aufmerksamkeit galt aber auch anderen Themen, etwa der Abhängigkeit von Medikamenten aufgrund von Inhaltsstoffen wie Opium oder Kokain, und es gab bereits damals die Kontroverse um echte und künstliche Aromen, etwa Vanille und Vanillin. Auch eine Abhandlung über Glyzerin-Zäpfchen stammt von Professor Scoville.
Zu namentlicher Berühmtheit sollte er aber gelangen, nachdem er beim 1907 in Detroit einen Job beim Pharma-Hersteller Parke, Davis & Company annahm. Unter anderem stellte Parke eine Muskelsalbe namens “Heet” her – genauso gesprochen wie “Heat”, als englisch für Wärme. Das Wirkungsprinzip für die Wärmeemfindung war eine der Zutaten dieser Einreibung, nämlich Chilis. Das darin enthaltene Capsaicin stimuliert die Wärmerezeptoren der Haut und kurbelt deren Durchblutung an. Nun sind Chilis nicht immer egal scharf; ihr Capsaicin-Gehalt variiert unter anderem mit der Sorte. Zur exakten Dosierung der Chili-Schärfe in der Salbe musste man also die Schärfe dieser Zutat bestimmen. Das American Journal of Pharmacy berichtet 1911 über Wilbur L. Scovilles „Note on Capsicum“, in der er auf die Schärfedifferenzen von Chilis hinweist, und dass ein physiologisches Testverfahren nützlich wäre. Und dazu hatte Wilbur dann eine Idee, die er wenig später der Fachwelt vorstellte.
Beim Jahrestreffen der American Pharmaceutical Association 1912 in Denver präsentierte Wilbur Scoville eine Methode für die Chili-Dosierung in der Heet-Salbe – den Scoville Organoleptic Test. “Organoleptisch“ bedeutet die Beurteilung von Geschmack, Farbe, Aroma und sonstige Empfindungen durch die Sinne, und für ihn war natürlich nicht das Aroma interessant, sondern nur die Schärfe.
Schon bald fand sich Scovilles organoleptischer Capsicum-Test in der Fachliteratur dokumentiert. Im 1920 veröffentlichten Practical Standardization by Chemical Assay of Organic Drugs and Galenicals von Albert Brown Lyons 1920 heißt es auf Seite 238:
Es ist durchaus möglich, eine ausreichend genaue Bestimmung der „Stärke“ einer Probe vorzunehmen, indem man die Schärfe bestimmt. W. L. Scoville schlägt die folgende praktische Methode vor. Einweichen von 0,1 g gemahlenem Capsicum über Nacht in 100 ml Alkohol; gut schütteln und filtern. Diese Tinktur gesüßtem Wasser (10% Zuckerghalt) in einer Menge hinzufügen, dass eine schwache aber deutche Schärfe Mit der Zunge oder dem Hals wahrgenommen wird. Scoville zufolge spricht Capsicum in diesem Test in einer Verdünnung von 1:50.000 an. Er fand heraus, dass die Mombassa-Chilis im Bereich von 1 :50.000 bis 1 : 100.000 liegen; Zanzibar-Chilis 1 :40.000 bis 1 :45.000; Japan-Chilis 1 :20.000 bis 1 :30.000. Nelson beobachtete, dass ein einziger Tropfen einer Lösung von Capsaicin in Alkohol in einer Verdünnung von 1 : 1.000.000 auf der Zungenspitze eine deutliches Wärmegefühl erzeugt.
Hatte eine Gruppe von Testpersonen die Chili-Schärfe zum Beispiel noch bei fünfzigtausendfacher Verdünnung wahrgenommen, legte Scoville den die Schärfe dieser Chilis auf 50.000 „Scoville Heat Units“ (SHU) fest. Heute geschieht die Ermittlung des Capsaicingehalts mit moderner Laborausrüstung (HPLC); durch Multiplikation mit dem Faktor 16 lassen sich die ermittelten mg/kg aber in SHU umrechnen.
Scoville arbeitete bis zum seinem 69. Lebensjahr bei Parke, Davis & Company; während seiner Karriere erhielt er diverse Auszeichnungen. Er verfasste auch noch weitere Werke, etwa das 1918 erschienene Buch Extracts and Perfumes mit einigen hundert Rezepturen.
Wilbur Lincoln Scoville blieb bis zu seinem Lebensende in Detroit und starb dort 1942 im Alter von 77 Jahren. Chili-Fans in der ganzen Welt halten seinen Namen in Ehren. Jeder kennt die Scoville-Einheiten. Wenn der gute alte Wilbur das gewusst hätte!
PS: „Heet“ mit Capsaicin als Wirkstoff gibts noch immer zu kaufen, wenn auch von einem anderen Hersteller.
Text: Harald Zoschke – Scoville-Foto: Sunbelt Archives