Von ganz mild bis fast unerträglich scharf: Spanischer Pfeffer ist ein Chamäleon
Spanischer Pfeffer (Capsicum annuum) ist die weltweit am weitesten verbreitete Pflanze der Gattung Paprika (Capsicum), der botanischen Systematik zufolge gehört das Gewächs zu den Nachtschattenartigen (Solanales) und zur Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Charakteristisch für den ursprünglich aus Süd- und Mittelamerika stammenden, jedoch heute in passendem Klima fast überall angebauten Capsicum annuum ist die immense Artenvielfalt und damit vielseitig mögliche Verwendung als mildes Gemüse oder scharfes Gewürz. Der wohl bekannteste Vertreter ist der meist scharfe bis sehr scharfe Cayenne Pfeffer (Capsicum annuum var. Acuminatum). Die Tausende von heutzutage bekannten Sorten Capsicum werden dabei in die vier bis fünf Hauptkategorien Capsicum annuum, Capsicum baccatum, Capsicum chinense und Capsicum pubescens unterschieden. Die Art Capsicum frutescens wird in der botanischen Fachwelt manchmal als eigenständige Variante, manchmal aber auch als Konspezifität klassifiziert. Spanischer Pfeffer hat sich seit seiner Einführung in Europa durch spanische Kolonialherren im frühen 16. Jahrhundert jedoch nicht nur als vielseitiges Gewürz und Gemüse – wenn auch mit etwas Verspätung – einen guten Namen gemacht, auch zur Riege der anerkannten Heilkräuter und Heilpflanzen gehört Capsicum annuum schon seit geraumer Zeit.
Paprika diente lange Zeit vor der Pharmaindustrie der Heilung und Gesundheit
Bereits die indigenen Völker Süd- und Mittelamerikas nutzen das in diversen Paprika-Arten in unterschiedlicher Abstufung natürlich vorkommende Alkaloid Capsaicin für diverse medizinische Zwecke. Hauptanwendungsgebiete waren bzw. sind rheumatische Beschwerden, Gelenk- und neuropathische Schmerzen sowie generelle Verspannungen am Bewegungsapparat wie beispielsweise Hexenschuss. Die als Heilpflanzen geschätzten Gewächse wurden in Form von konzentrierten Extrakten häufig auch zur Behandlung von Depressionen, Trigeminusneuralgie (Gesichtsschmerz) sowie Bauch- und Zahnschmerzen eingesetzt. In der ayurvedischen Medizin in Asien sind spanischer Pfeffer, Capsicum annuum und Capsaicin ebenfalls keine Unbekannten, auch dort finden sie als Heilpflanzen und Heilkräuter oft Verwendung. Gemäß der Systematik der uralten ganzheitlichen Heilehre werden ihre Eigenschaften (Gunna) als trocken (ruksh), hell (laghu) und scharf (tikshan), der Geschmack als bitter (katu) und die Wirkkraft als heiß (ushan) eingestuft. Zahlreiche wissenschaftlich geführte und überprüfte Studien sowohl aus der klassischen Schulmedizin als auch der Homöopathie belegen eindeutig messbare appetitanregende, durchblutungsfördernde, blutstillende, aphrodisierende, abführende sowie karminativ wirksame Eigenschaften von Capsicum, Capsaicin und Konsorten.
Spanischer Pfeffer wurde in Europa zuerst nur bewundert, später auch probiert
Angesichts ihrer vielfachen Nutzbarkeit verwundert es aus heutiger Sicht etwas, dass spanischer Pfeffer bzw. Capsicum in Europa bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wegen seiner vielfältigen Formen zunächst nahezu exklusiv nur als Zierpflanze Verbreitung fand. Erst im ausklingenden 17. Jahrhundert tauchten in zeitgenössischen Kochbüchern die ersten Anweisungen zur kulinarischen Nutzung des spanischen Pfeffers auf. In diesen Epochen trug Paprika im deutschsprachigen Raum auch die Beinamen und Synonyme Polterhannes, Brunsilgenpéper, Guinea-, Hennen-, Kappen- und Negropfeffer sowie brasilianischer, hispanischer und indianisch-kalickuttisch Pfeffer. Rieten die meisten Ratgeber anfangs noch zur möglichst großen Mäßigung beim Einsatz der bislang in der „Alten Welt“ so nicht bekannten intensiven Schärfe, haben sich im Laufe der Jahrhunderte auch in Europa wahrhaft fanatische Gemeinschaften von Capsicum-Liebhabern, Pfefferenthusiasten und Scharfschmeckern gebildet. Heute gehört spanischer Pfeffer nicht nur in Restaurants und privaten Küchen zur selbstverständlichen Standardausrüstung im Gewürzregal, auch sportlich ambitionierte Schärfe-Wettbewerbe, bei denen Teilnehmer hoch konzentrierte und höllisch scharfe Chilisoßen mit bis zu mehreren hunderttausend Scoville-Einheiten „todesmutig“ testen, sind längst in der Populärkultur angekommen.
Spanischer Pfeffer und Paprika sind heute nicht nur in Ungarn allgegenwärtig
Weniger um extreme Schärfe, als um alltägliche Verwendung als Nahrungsmittel geht es hingegen bei der gängigen Nutzung von Capsicum als Paprika respektive Gemüsepaprika. Die in der Regel roten, gelben und grünen, jedoch auch in lila, violett oder orange erhältlichen Früchte sind heute fester Bestandteil vieler klassischer Gerichte und wichtige Zutat bei zahlreichen anderen Speisen. Ob gefüllte, gegrillte oder geflammte Paprika, als Auflage bei Pizzen, Fonds für Ragouts und Soßen oder gekochte Beilage für Fisch- und Fleischgerichte: Spanischer Pfeffer begegnet uns heute auf Schritt und Tritt bzw. besser gesagt bei fast jedem Bissen, auf vielen Tellern und in zahlreichen Fertiggerichten. Paprika kann auch bestens roh als an Vitamin C reicher Salat zubereitet werden, Kräuter und viele andere Gewürze harmonieren hervorragend mit der saftigen Frucht, die sich übrigens in Streifen geschnitten auch sehr gut als frischer, kalorienarmer und gesunder kleiner Imbiss für die Mittagspause oder einfach zwischen durch eignet. Die je nach Sorte süßen, milden oder feurigen Schoten können demzufolge also kalt, warm oder heiß gegessen werden, sogar hochprozentige Schnäpse und Liköre werden aus Capsicum in manchen Weltgegenden bevorzugt gebrannt. Bekanntestes Beispiel in Europa hierfür ist sicherlich „Paprika Eszencia“ (Paprikaschnaps) aus Ungarn, ein Land, dessen traditionelle Küche dem spanischen Pfeffer schon seit einigen Hundert Jahren auch mit unzähligen Speisen und Gerichten geradezu religiös huldigt.