So erobert sich mit Guerilla Gardening wildes Grün den Raum in der Stadt zurück
Als ein globales Phänomen gewinnt Guerilla Gardening auch in Deutschland im wahren Wortsinn an Boden. Überzeugte Guerilleros, die sich oft auch als Naturkünstler verstehen, säen heimlich Pflanzen auf privaten und öffentlichen Flächen aus. Diese Aktionen waren ursprünglich vor allem politisch und künstlerisch motivierter Protest. Heute gibt es jedoch weitere Formen, die mehr ökologisch ausgerichtet sind und sich vom urbanen Gartenbau hauptsächlich durch die nicht vorhandene öffentliche Freigabe für die Aussaat von Nutzpflanzen abgrenzen.
Was ist Guerilla Gardening und wodurch unterscheidet es sich vom urbanen Gartenbau?
Die Bezeichnung Guerilla Gardening hat sich für die „illegale“ Form des urbanen Gartenbaus (Urban Gardening) etabliert. Vorbild der Gardening-Bewegungen waren die Naturgärtner, die in den 70er-Jahren den New Yorker Stadtbezirk Manhattan begrünten. Die Green Guerillas, wie sich die Guerillagärtnereigruppe nannte, diente der nachfolgenden Generation von Gartenpiraten als Vorbild. In Deutschland formte sich ebenfalls eine Naturgartenbewegung, die künstlerisch motivierte Performances für mehr Grün in der Stadt initiierte. Doch erst um den Jahrtausendwechsel erlangte die Guerilla-Gardening-Bewegung von Großbritannien aus international eine neue Dimension der Popularität. Eine bunt gemischte Gruppe von Umweltaktivisten, Globalisierungsgegnern und Autonomen grub mitten in London die Rasenfläche des Parliament Square um und bepflanzte ihn mit mitgebrachten Setzlingen. Dieser Coup gilt als Startschuss für politischen Protest und Revolution in Form von Guerilla Gardening. In Großbritannien rief der Aktivist Richard Reynolds eine Website für „illegale Gärtner“ ins Leben und publizierte eine praktische Anleitung für Guerilleros. Überall in den Städten sorgten mit Samenkugeln bewaffnete Wildgärtner für Wildwuchs und kämpften so gegen ihrer Ansicht nach spießbürgerliche Monokulturen. Diese sogenannten Samenbomben sind typisch für das Guerilla Gardening.
Welche gemeinsamen Ziele haben erdverbundene Guerilleros und Stadtgärtner?
Zwar eint die beiden Bewegungen die Vision einer lebenswerten natürlichen Umwelt, aber „Urban Gardenern“ geht es vorrangig um die Integrierung der lokalen Nahrungsmittelherstellung in das Stadtleben und um die nachhaltige, sozial gerechte und umweltbewusste Eigenproduktion im öffentlichen Raum. Das Guerilla Gardening zielt häufig auf Rebellion – unter anderem gegen Gentechnik in der Agrar-Industie durch Feldbefreiung. Aber mindestens ebenso wichtig sind die Aspekte der Nutzung von brachliegenden Flächen und des Inbesitznehmens von Hinterhöfen oder Grünstreifen an Straßen und Wegen. Bepflanzt werden dabei also nicht nur öffentliche Areale, sondern auch Brachflächen in privatem Besitz. Wenn du Guerillero werden möchtest, musst du neben der naturverbundenen Liebe zu Pflanzen einen gewissen Hang zum zivilen Ungehorsam haben. Wenn du nämlich zum Beispiel klammheimlich aus unseren Chili-Samen eine Samenkugel bastelst, um die Welt etwas schärfer zu machen, handelt es sich beim unerlaubten Aussäen theoretisch um eine Straftat. Die Rechtspraxis ist jedoch häufig sehr kulant, obwohl jede nicht genehmigte Bepflanzung grundsätzlich eine Sachbeschädigung darstellt. Willst du kein Risiko eingehen, hast du im Bereich des urbanen Gartenbaus viele Wahlmöglichkeiten. Du kannst dich an Gemeinschaftsgärten und -dachgärten beteiligen, interkulturelle Gartenprojekte unterstützen, dich als Schrebergärtner betätigen oder „vertical farming“ betreiben. Keine dieser alternativen Gartenbauformen ist rechtlich bedenklich.
5 Tipps für Einsteiger: Wie werde ich Guerillero und was muss ich bei den Aktivitäten beachten?
Du interessierst dich für Guerilla Gardening und willst dich an spannenden Aktionen beteiligen oder diese sogar selbst organisieren?
1. Wäge genau ab, was du wie erreichen willst: Viele Informationen bieten dir die Online-Plattformen bekannter Guerillakünstler, beispielsweise die Seite des bekannten Aktivisten Reynolds. Im deutschsprachigen Raum wirst du bei den Gartenpiraten fündig. Möchtest du dir Wissen anlesen und dich durch Guerillakünstler inspirieren lassen, kannst du in zahlreichen Büchern zum Thema stöbern. Die meisten sind sehr praxisbezogen, beinhalten Anleitungen zum Herstellen von Samenbomben oder werden im Set mit fertigen „Seedbombs“ angeboten.
2. Suche Kontakt zu gleichgesinnten Gärtnern, denn das ist in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft. Ihr könnt euch austauschen, seid gemeinsam kreativer – und außerdem sehen viele Augenpaare mehr als nur eines, wenn es um das Entdecken von geeigneten Arealen geht.
3. Blumenzwiebeln sind für Anfänger ideal, denn sie lassen sich unauffällig im Boden vergraben und blühen Jahr für Jahr aufs Neue. Darum eignen sich Schneeglöckchen, die in der kalten Jahreszeit Akzente setzen, und natürlich die Frühlingsboten Narzisse, Tulpe und Krokus.
4. Schau dir die Flächen deiner Wahl über einen längeren Zeitraum genau an, um herauszufinden, wie und wann sie gepflegt werden. Bevorzuge Bereiche, die selten gemäht werden, weil sie vielleicht für Rasenmäher schwer erreichbar sind. Vielleicht hast du Glück und erreichst mit deinen Pflanzaktionen, dass eine Fläche offiziell zur Bepflanzung freigeben wird.
5. Auch wenn bei dir in der Gegend weit und breit nichts anderes zu sehen ist als langweiliger Beton, bist du nicht chancenlos. Für solche Zwecke gibt es Moosmilch, mit der du sogar grüne Moosbilder „malen“ kannst, die sich nach einiger Zeit auf wunderbare Weise an Mauern und Pfeilern zeigen.
Gibt es Nutz- und Zierpflanzen, die sich besonders gut fürs Wildgärtnern eignen?Meide einfach alles, was besonders pflegeintensiv ist. Das gilt für Blumen ebenso wie für Nutzpflanzen. Ansonsten hängt die Wahl des Saatguts vor allem davon ab, wo du aussäst und was du mit der Aussaat oder dem Anpflanzen erreichen möchtest. Mit bunt saisonal gemischten Saatbomben kannst du ein sonniges Rasenstück im Park das ganze Jahr über in eine Schmetterlingswiese verwandeln. Vielleicht bevorzugst du aber auch Nutzpflanzen, Gehölze oder Schlingpflanzen. Zwiebelpflanzen sind besonders unkompliziert und effizient.
In welchen Städten Deutschlands gibt es die kreativste Guerilla-Gardening-Szene?
Weit vorn sind ganz klar die Metropolen, allen voran Berlin. Ein Flughafengelände, das nicht mehr in Betrieb ist, grünt und blüht im Frühjahr – und das inzwischen sogar legal! Ursprünglich haben Berliner Aktivisten auf dem brachliegenden Tempelhof-Gelände in Nacht- und Nebel-Aktionen Sonnenblumen gesät. Die wilden Zeiten sind vorbei, aus dem Guerilla-Gardening-Projekt ist ein gemeinschaftliches Vorzeige-Projekt entstanden, offiziell geöffnet für alle motivierten Stadtgärtner. Sehr aktiv ist auch die Münchner Szene, gefolgt von Köln, Hamburg, Münster und Frankfurt. Wenn deine Stadt noch nicht dazu gehört, liegt es an dir, das zu ändern!