Der Cayennepfeffer hat vor 500 Jahren seinen Siegeszug um den Globus begonnen
Ohne die feurige Schärfe von Cayennepfeffer würde zahlreichen typischen und traditionellen Gerichten Nord-, Mittel- und Südamerikas sicherlich der entscheidende „Kick“ fehlen. Spezialitäten wie mexikanische Chilisoßen und Guacamole, gefüllte Pupusa-Tortillas aus El Salvador, Sancocho aus Panama, das bolivianische Nationalgericht Pique macho, chilenische Empanadas, Reis mit Gemüse und Meeresfrüchten aus Ecuador, kubanische Tamales aus Maisteig mit Salsa oder Mole, die argentinische Grillsoße Chimichurri, das peruanische Fischgericht Ceviche, scharfer Mondongo-Eintopf mit Kutteln aus Venezuela und der brasilianische Feijoada-Eintopf aus Bohnen und Fleisch sind ohne die mitunter beißende Schärfe von Chilis und Pfeffer schlicht nicht vorstellbar. Auch viele Rezepte und Zubereitungen aus Regionalküchen der USA basieren auf dem Einsatz des aus roten Kapseln gemahlenen Pulvers. Häufig Verwendung findet Cayennepfeffer beispielsweise in der Tex-Mex-Küche in den südlichen Bundesstaaten und der französisch beeinflussten Cajun-Küche in Louisiana. Ihren Namen verdankt die umgangssprachlich oft kurz Cayenne genannte Chili-Varietät der Pflanze Capsicum annuum var. Acuminatum dem vor der Kolonialzeit größten indigenen Stamm der „Tupi“ in Brasilien. Andere Quellen verweisen auf die Hauptstadt Cayenne des heutigen Überseedépartements Französisch-Guayana als Patin der scharfen Schote. Auf jeden Fall wird die leicht bittere und etwas rauchige Schärfe vom natürlichen vorkommenden Alkaloid Capsaicin (CPS) erzeugt, welches bei Cayennepfeffer üblicherweise zwischen 30.000 bis 50.000 Scoville-Einheiten liegt. Die Spanier brachten die getrockneten Schoten unter der Bezeichnung „pimienta“ ab dem 15. Jahrhundert von Lateinamerika nach Europa, von wo aus sich das neuartige Gewürz im Laufe der Zeit u.a. bis nach Indien, Indonesien und China verbreitete. Cayennepfeffer schmeckt je nach Art, Anbau und Erntezeit sowie Dosierung, Rezept und Zubereitungsart leicht pikant bis geradezu höllisch scharf.
Ob in der Küche oder in der Klinik: Capsaicin ist ein erstaunlicher Alleskönner
Neben dem mittlerweile fast weltweiten Einsatz in Küchen wurde und wird Cayennepfeffer aufgrund seines chemischen Fettsäureamids Capsaicin auch schon früh in der Naturheilkunde genutzt, zumeist zur Förderung der Durchblutung in der Human- und Tiermedizin. Bei Muskelschmerzen und Muskelverspannungen etwa an der Wirbelsäule werden Cremes, Salben und Pflaster mit je nach Indikation unterschiedlich prozentualen Anteilen von Capsaicin von Ärzten heutzutage gerne als Ersatz oder Ergänzung für synthetische Arzneimittel verordnet. Capsicumextrakte mit unterschiedlichem Gehalt an Capsaicin üben ihre in klinischen Studien erwiesenermaßen effektive und zuverlässige Wirkung auch bei rheumatischen Beschwerden sowie Gelenk- und neuropathischen Schmerzen aus. Wahrscheinlichster Grund hierfür ist die Hemmung der Wiederaufnahme des aus elf Aminosäuren bestehenden Neuropeptids (Botenstoff) Substanz P. Je nach Hauttyp und Sensibilität können bei manchen Patienten Symptome wie vorübergehende Rötungen und Irritationen der betreffenden Körperpartie auftreten, auch Juckreiz und Hustenreiz gehören manchmal zu den Nebenwirkungen. Die neueren Medikamente dieser Art sind jedoch inzwischen meist sehr genau dosierbar. In Verbindung mit Essenzen und Extrakten aus anderen klassischen natürlichen Heilpflanzen und Heilmitteln wie etwa Senföl oder Tonerde (Kaolin) wird das aus Cayennepfeffer bzw. der Pflanze Capsicum annuum var. Acuminatum gewonnene Capsaicin auch zur Wärmetherapie bei Schmerzen am restlichen Bewegungsapparat zum Beispiel mit Munari-Packungen oder bei der Massage eingesetzt. Die schmerzstillende Wirkung rührt hierbei von der Aktivierung des TRPV1-Kanals durch vermehrte Ausschüttung von Kalzium her. Körpereigene Endorphine werden neuesten Erkenntnissen der Naturheilkunde zufolge durch Anwendungen mit Capsaicin ebenfalls deutlich angeregt. Vielversprechend, aber noch weitgehend unerforscht ist der Einsatz von Capsaicin als Hilfsmittel in der Anästhesie. Erste Forschungsergebnisse zeigen aber bereits, dass der potente Wunderstoff dem eigentlichen Betäubungsmittel den Zugang zur Zelle erleichtert, in Laborversuchen tötete Capsaicin sogar schon langfristig Prostatakrebszellen ab. Auch manche Diät zur Gewichtsreduzierung setzt auf Rezepte und Zubereitungen mit Cayennepfeffer, dessen leicht abführende Wirkung die überflüssigen Pfunde bei übergewichtigen Menschen durchaus schneller und erfolgreich purzeln lassen kann.
Die pflanzlichen Rohstoffe für Cayennepfeffer mögen es vor allem heiß und trocken
Seine weitreichende kulinarische und medizinische Verwendbarkeit haben natürlich auch dafür gesorgt, dass Cayennepfeffer heute in zahlreichen dafür geologisch und klimatisch geeigneten Weltgegenden zum Teil sehr großflächig und in großen Mengen angebaut, geerntet und gehandelt wird. Hierbei handelt sich hauptsächlich um tropische und subtropische Regionen in den eingangs erwähnten Ländern der westlichen Hemisphäre. Die aktuellen Hauptanbaugebiete befinden sich außer in ganz Lateinamerika und Teilen Nordamerikas auch in Südeuropa sowie in Indonesien, Indien, Malaysia, Thailand, Vietnam, Nigeria, Uganda, Tansania und im Kongo. Die bis zu anderthalb Meter hohen Pflanzen haben Zweige mit dunkelgrünen und elliptisch geformten Blättern und sind dicht belaubt, ihre Blühphase verläuft von Juni bis September, je nach Sorte und Standort können die scharfen Schoten bis zu 20 cm lang werden. Die buschigen und strauchartigen Chilipflanzen der Art Capsicum annuum als Rohstoff für Cayennepfeffer werden dabei meist auf groß angelegten Plantagen in Monokulturen angebaut und bevorzugt manuell geerntet, da sie je nach Reifegrad zu unterschiedlichen Produkten weiter verarbeitet werden. Unreif geerntete und noch grüne Früchte können dabei frisch genutzt oder auch in Essig eingelegt werden, im reifen Zustand weisen die Schoten einen orangenfarbenen bis dunkelroten Farbton auf und werden meist pulverisiert oder zu Granulat geschnitten. Die Abstufung der Schärfe verläuft in der Regel proportional zur Verweildauer an der Pflanze: Je länger die Früchte am Busch bzw. Strauch verbleiben, desto weniger Wasser weisen sie auf, und desto ausgeprägter werden Geschmack und Schärfe. Chilifrüchte bzw. Cayennepfeffer sind oftmals wichtige und geschmacklich konstituierende Komponenten von klassischen Gewürzsoßen und scharfen Pasten wie etwa Currymischungen, Harissa, Sambal Oelek und Tabasco. In unseren Gefilden wachsen die Schoten samt ihrer Kapseln jedoch allenfalls in der warmen Jahreszeit unter freiem Himmel. Die zur Ordnung der Nachtschattenartigen (Solanales) sowie zur Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) und Gattung Paprika (Capsicum) zählenden Pflanzen haben es gerne konstant warm bis heiß und vertragen Frost nur schlecht.
Einst so teuer wie Gold, heute an jeder Ecke und auch für böse Zwecke zu haben
Angesichts der mittlerweile seit Jahrhunderten globalen Verbreitung des Cayennepfeffers ist dieser nicht nur integraler Bestandteil von ansonsten ganz unterschiedlichen Landes- und Regionalküchen geworden. Auch der Preis für das im 15. und 16. Jahrhundert noch mit Gold und anderen Edelmetallen aufgewogene exotische Gewürz ist im Laufe der Epochen deutlich gesunken. Dieser exorbitante Preisverfall wird natürlich im Kreis heutiger Scharfschmecker absolut positiv bewertet, man darf aber nicht vergessen, dass die grundsätzlich zu begrüßende Verwendung von Cayennechilis in Medizin und Kulinarik auch „dunkle Verwandte“ aufweist. So wird etwa der Wirkstoff Oleoresin Capsicum auch in Pfeffersprays eingesetzt, die zwar der Selbstverteidigung gegenüber feindlichen Menschen und gefährlichen Tiere dienen, häufig aber ebenso als leicht und günstig zu beschaffende Waffe im Rahmen krimineller Aktivitäten benutzt werden. Darüber hinaus scheint es aktuellen Forschungen zufolge ausgeprägte Wechselwirkungen zwischen Capsaicin und Kokain zu geben, welche die potenzielle Letalität der ohnehin schon sehr gesundheitsschädlichen Droge um ein Vielfaches erhöhen. Wiederholte und inzwischen wissenschaftlich überprüfte und mehrheitlich bestätigte Vorfälle verweisen auch immer wieder auf Todesfälle von Drogenkonsumenten nach dem Einsatz von Pfeffersprays mit Capsaicin. Negative Wechselwirkungen bei der regelmäßigen und gleichzeitigen Einnahme von Psychopharmaka und Capsaicin kommen in der Fachwelt ebenfalls immer häufiger zur Sprache.