Rauchende Rachen in Jordanien
Bericht und Fotos von Patrick Holian, New Mexico State University; Illustration: Harald Zoschke
Patrick Holian arbeitet für das Department of Agricultural Communications an der New Mexico State University in Las Cruces — dort also, wo auch das berühmte Chile Pepper Insitute zuhause ist. In der Abteilung für Landwirtschafts-Kommunikation fungiert Pat zugleich als Direktor, Autor, Kameramann und Produzent. Wir trafen den vielseitigen Mann das erste Mal 1999, als er in einem Team mit Dave DeWitt in unserem damaligen Hot Shop Peppers on The Pier für die amerikanische Video-Serie „Heat Up Your Life!“ filmte. Im Herbst 2002 verschlug es Pat nach Jordanien, um einen Dokumentarfilm über landwirtschaftliche Trockengebiete zu drehen; das Klima dort ist seiner Heimat New Mexico ja nicht unähnlich. Wie für die meisten New Mexicans sind Chilis für Pat ein unentbehrliches Grundnahrungsmittel, und so hatte er fern der Heimat zunächst Probleme, Entsprechendes zu finden. Konnte die jordanische Küche tatsächlich nicht sein Verlangen stillen? Bis er auf die richtigen Leute traf. Und womöglich finden Sie jordanische Chilis schon bald auch in Ihrem Supermarkt – hier in Deutschland!
Ich war im Nahen Osten unterwegs, und ich steckte in Schwierigkeiten. Zum Glück nicht jene Art Probleme, über die CNN aus dieser Region zu dieser Zeit laufend berichtete. Im Gegenteil, mein einmonatiger Jordanien-Aufenthalt war von supernetten Leuten und großartigen Eindrücken erfüllt. Die Schwierigkeiten bestanden darin, dass ich in in der jordanischen Hauptstadt Amman einfach nichts feuriges aus der lokalen Küche finden konnte. Ich streifte durch die Lebensmittelläden der Stadt, nur um gewöhnliche Louisiana Hot Sauce zu finden. Ich erkundete die mysteriösen Gänge des zentral gelegenen Souk, des Marktes also, aber ohne Erfolg. Bis zu den antiken Mauern von Philadelphia, dem ursprünglichen Namen von Amman, führte mich meine Suche, vergebens. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich erwartete, hier zumindest Harissa zu finden, die feurige rote Chilipaste, auf die ich auf früheren Reisen nach Marocco, Tunesien und Ägypten stieß. Doch als ich auf einem Markt in Amman nach Harissa fragte, wurde ich umgehend zur Süßigkeiten-Abteilung eskortiert. „Hier. Harissa. Extra für Dich“, sagte der Mann mit einem Lächeln, und man reichte mir einen braunen Block einer konfektartigen Masse, die süsser war als Marzipan.
Chilis und Gemüse auf einem Markt in Amman
„Shokran,“ dankte ich dem Mann auf arabisch, als ich mich von der Überdosis Zucker wieder aufrappelte. Schnell flüchtete ich um eine Ecke in die Dunkelheit. Über dem Dunkel bemerkte ich einen Lichtschein – ein hell beleuchtetes rotgelbes Zeichen, auf dem in Englisch The Chili Housestand. Beide i’s des Wortes „Chili“ hatten die Form roter Schoten mit grünen Stielen.
Schnell stieg ich die Stufen zum Eingang im zweiten Stock hinauf. Meine Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt. Dort oben empfing mich blendend helles Neonlicht, und es sah aus aus wie in einem ganz normalen Schnellresturant in den USA. Der Geruch desinfizierender Putzmittel in der Luft, ein Tresen zum Bestellen, und dahinter die obligatorische Wand mit der Menüauswahl und Fotos der einzelnen Gerichte in übersättigten Farben. Ich überflog die Auswahl. Spaghetti mit Chili con Carne drauf schien die Spezialität des Hauses zu sein: der Rest des Angebots bestand aus Hamburger- und Hot-Dog-Variationen. Ein Angesteller und ich waren die einzigen Personen im Restaurant. Ich ging zum Tresen und fragte: „Haben Sie nichts chilimäßiges im Programm?“ „Na klar, dies ist ja das Chili House“, antwortete er stolz. „Nein, Sie verstehen mich nicht. Bieten Sie hier irgendwas mit scharfen Chili Peppers an – hot & spicy?“ Der Mitarbeiter war sich seiner beschränkten Sprachkenntnisse besser bewußt als ich. Er verschwand in der Küche, und kam mit Ahmad, dem Koch, zurück.
Nicht wirklich scharf, aber nett: Die Jungs von The Chili House in Amman
„Kann ich Ihnen helfen?“ – „Ja bitte. Haben Sie irgendwas so richtig feurig-scharfes im Angebot?“
„Oh ja! Unsere weltberühmten Spaghetti. Die sind sehr, sehr gut.“
Ahmad ließ mich die Soße probieren. Sie erinnerte mich an Chef Boyardee mit einem Hauch von Chili. Ein wenig auch irgendwie wie Heinz Spicy Ketchup. Ahmad begann damit, mir die komplette Geschichte des Chili House zu erzählen. Ein ziemlich engagierter Geschäftsmann mit dem Traum, da bin ich mir sicher, eines Tages die dunkle kleine Küche gegen ein feineres Restaurant mit eigenem Management einzutauschen. Anscheinend hat Ziad Tuameh, der ursprüngliche Besitzer, beträchtliche Zeit außerhalb Jordaniens zugebracht, um das Restaurantgeschäft zu erlernen. Wenn ich mir die Hot-Dog-Spezialitäten auf der Karte anschaue, bin ich sicher, dass mein Land dafür verantwortlich ist. In den frühen 80ern kehrte er in den Nahen Osten mit dem Traum zurück, quer durch Jordanien Fast-Food-Restaurants zu eröffnen. Damit hatte er auch Erfolg. Heute ist The Chili House die erfolgreichste Fast-Food-Kette im Königreich in jordanischer Hand. „Unsere Chili-Mischung unterscheidet sich von der scharfen mexikanischen Küche“, versichert mir Ahmad. „Wir bevorzugen den maßvollen Einsatz von Gewürzen“. Ich verstand. Spaghetti, dann zurück in die Nacht.
Das Arab League Café im Zentrum von Amman könnte direkt aus einem Film mit Humphry Bogart stammen. Das Kaffeehaus im zweiten Stock ist ein alteingesessenes Etablissement für Männer, die sich dort den Tag mit Diskutieren, dem Spielen von Domino und dem Rauchen hüfthoher Wasserpfeifen namens Najileh vetreiben. Kellner mit Tabletts randvoll mit süßem Tee und starkem Kaffee schlängeln sich durch den riesigen Raum. Die Luft steht vor Tabakrauch, und der Ruf zum Nachmittagsgebet schallt mystisch von der König-Hussein-Moschee über die Strasse. Dies war die dichte Atmosphäre, in der ich mich den daraufflogenden Tag wiederfand. Ich war der einzige „Gringo“ im Haus. Ich hatte einen ganzen Tisch für mich, mit der ausgebreiteten Jordanien-Landkarte darauf und meiner dritten Tasse türkischem Kaffee in der Hand. Ich plante meine nächsten Aktionen. Nachdem ich offensichtlich meine Chili-Möglichkeiten in Amman erschöpft hatte, beschloss ich, außerhalb der Hauptstadt weiterzusuchen. Womöglich würde ein Ausflug in den desolaten östlichen Teil des Landes, den „Pfannenstiel“ Jordaniens etwas bringen? Es sah zumindest vielversprechend aus. Umgeben von Syrien im Norden, Irak im Osten und Saudi-Arabien im Süden, führt durch diesen Landstrich nur eine einzige Strasse – der berüchtigte „Baghdad Highway“. Dies ist die jordanische Lebensader für Ölimporte aus dem Osten, und sie ist bekannt für flammenlodernde Unfälle mit Tanklastzügen, die gelegentlich den nächtlichen Wüstenhimmel erhellen. Mein Blick fiel auf die einzige Stadt an dieser Stasse,Safawi. Irgendwie gefiel mir der Name. Ich warf eine Dinar-Münze auf den Tisch und startete meinen Ausflug.
Landkarten können ganz schön trügerisch sein, und Safawi entpuppte sich als Enttäuschung. Kein exotisches Fleckchen, sondern ein düsteres Dorf, dessen einziger Zweck in der Versorgung der Tanklastzüge besteht, die mittendurch donnern. Der Ort zieht sich entlang der Strasse, mit Reifen-Reparaturläden, Quickstop-Shops und Restaurants mit Mahlzeiten zum Mitnehmen, und alle wetteifern um das Geschäft mit dem Durchgangsverkehr. Safawi scheint völlig mit Öl bedeckt zu sein. Die Strasse und die komplette Umgebung schimmert schwarz, und der Gestank von Diesel und Benzinabgasen liegt in der Luft, dazu das Dröhnen kräftiger LKW-Hupen. Wahrscheinlich ist dies der Grund, weshalb ich keinerlei touristische Informationen finden konnte. Um mir ein Bild von der Umgebung zu machen, glitt mein Blick über den Horizont des Baghdad Highway.
Soweit das Auge reichte, war Safawi von der trostlosen steinübersäten Wüste namens Badia umgeben – ein perfekter Platz für die NASA, ihr nächstes Mars-Mobil zu erproben. Hier zu wandern verlangt das fortwährende Umschiffen scharfkantiger melonengroßer Basaltsteine. So zahlreich waren diese Brocken, dass ich mich nur ein paar Schritte abseits der Strasse wagte, um mir nicht den Fuß zu verstauchen. So machte ich mich schon wenige Minuten nach meiner großartigen Exkursion auf den Weg zurück in die Stadt.
Sortieren von India-Chilis in der Firma Jorico
Das war auch gut so, denn ich hatte das große Glück, Mohammed Al-Oun zu treffen. Mohammed war in der Badia zuhause und sprach perfekt Englisch. Ich erklärte ihm mein Dilemma, in Amman nichts Feuriges zum Futtern zu finden. „Keine Sorge. Wenn Du nach Folfel Har (= scharfe Chilis) suchst, werde ich Dir mehr Folfel Har zeigen, als Du jemals essen kannst!“
Chilis von links nach rechts: ‘Anaheim’, ‘India’ rot und
grün, ‘Bullets’ rot und grün, und darunter ‘The Rocket’
Dazu fuhren wir an die westliche Kante der Badia, wo das endlose Gestein in landwirtschaftliche Flächen überging. Hier traf ich Abdallah Al Sodah von der der Firma Jorico (Jordan River Company), der mir gleich einmal eine Führung durch die Chili-Farm gab, deren Manager er ist. Man stelle sich vor – eine Chili-Fam in Jordanien!
Abdallah Al Sodah zeigt Schoten an einer Bullet-Chilipflanze
„Wir bauen hier alle möglichen Chili-Sorten an, zum Beispiel Anaheim, India-Chilis, Bullet(Geschoß) und Rocket (Rakete). All diese Sorten pflanzen wir für den Export. India-Chilis senden wir als rote und grüne Schoten nach Deutschland, die anderen gehen nach England. „Und wie sieht’s mit Chilis für Jordanier aus?“, will ich wissen. „Viel essen wir davon nicht“, lacht er. Ein paar verkaufen wir auch hier in Jordanien, aber eher die milden Sorten. Nach der Feld-Tour machten wir uns auf zu Mohammeds Heim, unweit der antiken Ruinen von Um Al Jamal, Mutter der Kamele. In seinem Beduinenzelt servierte er mir eine leckere Mahlzeit, bestehend aus Käse, selbstgebackenem ungesäuertem Brot, Gemüse und langen milden grünen Peppers.
Wir setzten unsere Unterhaltung fort. „Wahrscheinlich hat Abdallah Dir nicht alles über Chili Peppers in Jordanien erzählt. Wir haben Maghdoos –in Essig eingelegte Auberginen mit Peppers. Und wir haben Zaitoon Makboos, das sind in Olivenöl eingelegte und mit Peppers gefüllte Oliven. Außerdem servieren wir ein delikates Gericht namens Sawani, eine Mixtur aus Ziegen- oder Schaffleisch mit Tomaten, Kartoffeln und Peppers. Es ist sehr, sehr gut“.
Das leckere Mahl bei Mohammed
„Foody“ Hot Sauce
Mahlzeit: Der furchtlose Autor in Mohammeds
Zelt. Endlich mal wieder Chilis!
Im weiteren Verlauf meiner Reise durch Jordanien traf ich dann auch noch öfter auf die feurigere Küche dieses Landes. Im Hafen von Aqabah am Roten Meer zum Beispiel, im Altarboosh Barbecue & Pastry Café. In diesem herrlichen Strassencafe bestellte ich jeden Abend leckere Shwarma Sandwiches. Wie beim Gyros schneidet der Koch dafür dünne Scheiben feurig gewürztes Hühnchen- oder Lammfleisch ab, das über Holzkohleglut brutzelt. Dann fügt er Tomaten hinzu, sauer eingelegte Gemüse und Peppers und rollt das Ganze fest in tortillaähnlichem Fladenbrot ein. Einfach hervorragend. Schließlich entdeckte ich sogar eine regionale Hot Sauce namens Foody — eine Mixtur aus Essig und Cayenne, die aus Jedda in Saudi-Arabien stammt. Außerdem stieß ich auf Harissa, jene feurige rote Paste, die ich seit Beginn meines Jordanien-Trips zu finden hoffte. Hier heißt sie jedoch Shatah. Nachdem ich dies wusste, war es recht einfach für mich, zu jeder Mahlzeit etwas zum „Nachschärfen“ zu bekommen. Wie man im Haschemitischen Königreich Jordanien sagt: Mish Mushkela. Kein Problem!
Pikante Rezepte aus der Region: