„Fattorie Aperte“
Jedes Jahr gibts die „Fattorie Aperte“, den Tag der offenen Tür in vielen landwirtschaftlichen Betrieben um die Feinschmecker-Region Parma – inklusive der bereits vorgestellten Chili-Versuchsanstalt. Heute, an einem schönen Sonntag im Oktober 2010, unternehmen die Pepperweltler einen kleinen Ausflug dorthin.
Der Großteil des italienischen Chili-Kults spielt sich zwar im Süden des Landes ab, siehe unserenumfangreichen Kalabrien-Teil. Aber auch im Norden gibts einen „Hot Spot“: Am Rande der Feinschmecker-Stadt Parma leitet Dr. Mario Dadomo die Azienda Agraria Sperimentale Stuard, eines der wenigen Institute in Europa (und das einzige in Italien), das gezielte Forschung in Sachen Capsicum betreibt. In Teil 1+2 hat Frank Neulichedl den Betrieb bereits vorgestellt.
Auch wenn das Hauptforschungsgebiet der Azienda bei agrarwirtschaftlich bedeutenderen Produkten wie etwa Tomaten liegt, gilt Dr. Dadomos große Leidenschaft den Chilis, ganz besonders den Ziersorten. Neben dem Erhalt alter Sorten widmet er sich der Züchtung neuer Varianten, wie etwa der unter Chili-Sorten vorgestellten Ziersorte Abbraccio. Zu seinen Spezialzüchtungen gehören aber auch die Sorten „Harald“ und „Renate“, auf die wir noch zu sprechen kommen.
Die 2010er Termine waren die Sonntage 10. und 17. Oktober, und zum Glück wählten wir den ersten Termin, denn am darauffolgenden Wochenende hat es kräftig geregnet. So konnten wir trockenen Fußes die Chili-Felder inspizieren.
An dem Schau- und Verkaufs-Sonntag kamen geschätzt mehr als 1000 Besucher zur Azienda Stuard – die meisten natürlich wegen der Capsicum.-Vielfalt. Allein an der Führung am Nachmittag nahmen rund 200 Chili-Interessierte teil. Chili-Züchter Mario Dadomo erklärte die verschiedenen Arten, und wobei es bei der Züchtung neuer Sorten ankommt – die Selektion bestimmter Merkmale und die Kreuzung mit den geeigneten Sorten. Er demonstrierte auch, wie man dafür sorgt, dass das Ergbnis nicht verfälscht wird. Denn Chilis kreuzen sich gerne, sei es, dass der Pollen durch Wind übertragen wird, oder durch Insekten. Abhilfe im Kleinen schafft eine Haube aus Papier-Vlies. Nach dem Bestäuben der Blüte(n) wird eine Schutztüte über den betroffenen Zweig gestülpt und zugebunden, zusammen mit einem Schild, auf dem die Kreuzungspartner vermerkt sind.
Mit etwas Glück hat man dann eine gekreuzte Sorte mit den gewünschten Merkmalen. DIe neue Sorte ist damit aber noh längst nicht fertig – erst über diverse weitere Generationen muss sich zeigen, ob die Merkmale auch stabil sind und weitervererbt werden; gegebenenfalls muss weiter selektiert werden. Anschließend muss die Saat dann für den Vertrieb vermehrt werden. Bis auf diese Weise eine neue Sorte entsteht, können locker fünf Jahre und mehr vergehen. Beispeilsweise dauerte die Züchtug der schärfelosen Jalapeno-Sorte NuMex Primavera am Chile Pepper Institute der New Mexico State University sechs Jahre.
Und so sieht es dann aus, wenn Saat sortenrein vermehrt wird – zum Ausschluss von Fremdbestäubung blühen komplette Pflanzenreihen unter Vlieszelten und bestäuben nur sich selbst. nach der Reife wird die Saat von geschultem Personal entnommen, gereinigt und getrocknet. Wie man sieht, ist der Aufwand beträchtlich und erklärt vielleicht auch, warum sich manches Saat-Schnäppchen aus der Online-Auktion als Enttäuschung entpuppt.
Beim Stöbern auf den Feldern entdeckten wir wieder diverse Neuzüchtungen – einige davon noch in Arbeit, wie etwa diese noch namenlose Ziersorte mit dem interessanten violetten Muster als Zwischenstadion.
Manche Züchtungen beeindrucken auch einfach durch ihren sagenhaften Ertrag. Da kann man schon neidisch werden…
Harald und Renate gekreuzt
Bereits im Herbst 2009 machten wir die obigen Aufnahmen – Mario hatte die Ziersorten „Harald“ und „Renate“, benannt zu Ehren der Pepperweltler, gekreuzt und auf die beschriebene Weise isoliert. „Wollte einfach mal schauen, was dabei rauskommt, wenn man Euch beide kreuzt.“, meinte Mario augenzwinkernd. „Nächstes Jahr säen wir dann mal aus.“
Gesagt, getan, und dieses Jahr durften Harald und Renate „ihr“ Ergebnis bestaunen. Garnicht mal so übel, oder?
Natürlich muss sich auch hier erst noch zeigen, wie stabil das Ergebnis ist. Wir haben ein paar reife Früchte mitgenommen und bauen nächstes Jahr mal aus Jux „Renate x Harald“ an.
Capsicum-Kunstwerke
Ein Schwerpunkt der Parma-Schau sind auch stets die kunstvollen Gestecke und Arrangements, die Mario Dadomos Gattin Manuela aus den Zierchilis kreiert. (Wir erinnern uns: Bei den beiden gabs vor nicht allzu langer Zeit eine zünftige Chili-Hochzeit). Viele der kleinen Kunstwerke wurden auch zum Verkauf angeboten.
Diese farbenfrohen Körbe etwa, oder der Igelstern aus farblich abgestimmten Chilis.
Hier wird deutlich, wieviel Chilis nicht nur kulinarisch, sondern auch fürs Auge zu bieten haben.
Renate hat der Autor dieses Beitrags natürlich ein solches Chili-Herz spendiert, aus verschiedenen runden Chilisorten, die mit ihren Stielen auf grünes Moosgummi gesteckt sind. Mittlerweile sind die Chilis getrocknet, und das Herz sieht nach ein paar Wochen immer noch ganz passabel aus. Vielleicht ja auch mal eine Anregung zum Selberbasteln! Manche Chilis eignen sich auch bestens „Statt Blumen“. Auch mal so als Idee, wenn Sie das nächste Mal eingeladen werden.
Capsicum-Kulinarik
Aber auch kulinarische Chili-Genüsse kamen nicht zu kurz. Unsere Freunde von Ca‘ D’Alfieri boten scharfe Leckereien zum Kosten und Kaufen, und noch einige weitere Anbieter aus der Region. Wie man sieht, waren nicht nur die Chilis farbenfroh!
Die Chilis standen im Rampenlicht, da ging es fast unter, dass es an der Azienda Stuard auch noch viele andere Nutzpflanzenarten gibt, die dort für die Landwirtschaft gezüchtet werden. Kürbisse etwa, oder Maissorten für bestimmte Zwecke, wie die für Polenta optimierte Sorte „Belgrano“.
Wir hoffen, dass Ihnen unser kleiner Abstecher nach Parma gefallen und womöglich ein paar Anregungen zur Verwendung Ihrer Zierchilis gegeben hat.
Update September 2013 – Am 21.9. erreichte uns die Nachricht, dass Mario Dadomo für immer von uns gegangen ist. Siehe hier.
Update 2014: Marios Frau Manuela Lavado Sànchez, die schon länger für Mario in Parma mitgearbeitet hat, führt den erst 2012 für die Chili-Aktivitäten gegründeten Betrieb PepperParma mit viel Einsatz und netten Mitarbeitern fort. Sie hat ebenfalls einschlägige akademische Ausbildung, und vor allem viel Erfahrung. Siehe auch weiter unten in unseren Italien-Notizen.